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ÄTHIOPIEN – DER SÜDEN

Nun geht es also in den Süden dieses fantastischen Landes Äthiopien.  Wir sind neugierig, völlig fasziniert und voller Erwartung. Können die Eindrücke und Erlebnisse aus dem Norden noch getoppt werden?

 

Mit dem King of the Road durch den Süden von Äthiopien

Tesfaye erwartet uns in Arba Minch am Flughafen. Er wird für die nächsten 10 Tage unser Driverguide sein. Er wurde uns als „King of the Road“ und der Beste, den es in Äthiopien gibt, angekündigt. Eine coole Socke – urteilen wir auf den ersten Blick. 1,65 groß, Camouflage-Hose, Safari-Weste, Sonnenbrille, Goldarmband. Er ist ein Profi und Gold wert, wie wir die nächsten Tage noch häufig feststellen werden.

 

 

Unser Flug hat Verspätung, da er einen unplanmäßigen Stopp in Jimma eingelegt hat. Flugzeuge agieren zeitweise in Äthiopien wie bei uns die Straßenbahn – kann schon sein, dass man zwei Mal zwischenlanden muss, bevor man sein endgültiges Reiseziel erreicht. Tesfaye fährt uns an dem Abend noch zur Dorze-Lodge, hoch über dem Abaya- und Chamo-See gelegen.

 

 

 

Die Lodge ist ein Projekt, das vom Stamm der Dorze gebaut und auch gemeinnützig zur Unterstützung des Stammes betrieben wird. Der Blick von dort oben ist unglaublich, sodass wir uns von unserem Tukul, das im typischen Dorze-Stil, wie ein Elefantenkopf geformt ist, eigentlich gar nicht mehr wegbewegen wollen. Dass in dieser Nacht zum ersten Mal unsere Schlafsäcke und die lange Unterwäsche zum Einsatz kommen, ist bei dem Sonnenaufgang, den wir fast vom Bett aus betrachten können, schon längst wieder vergessen. Dass uns im Norden des Landes gewaltige Landschaft erwartet, darauf waren wir vorbereitet, aber dass es im Süden nun so weiterging, das überraschte uns doch.

Der Stamm der Dorze

Nach dem Frühstück holt uns ein junger Einheimischer ab und zeigt uns das Dorf, das eines von elf Dorze-Dörfern ist. Die Bevölkerung lebt hauptsächlich vom Weben von Leinenstoffen und vom Anbau von „falschen“ Bananen, aus deren Fasern nach dem Fermentierungsprozess in der Erde Brot gebacken wird, das in weiten Teilen des Landes eines der Hauptnahrungsmittel darstellt. Kann schon sehr eng werden in so einem Tukul, in dem Kinder, Eltern, Ziegen und Kühe gleichzeitig Platz finden und außerdem noch gekocht und gegessen wird.

 

 

 

 

Nachdem wir zum Bananenbrot und Arraki, der aus Korn gebrannt wird, eingeladen wurden, schauen wir noch in der Grundschule und im Kindergarten vorbei. Voller Begeisterung lesen uns die Vorschulkinder das englische Alphabet vor und dann wird es sogar noch gesungen. Man könnte sie einfach nur knuddeln, so goldig sind sie mit ihrem strahlenden Lachen und ihrer Offenheit. Das äthiopische Schulsystem, vielmehr das, was häufig in den Schulen vermittelt wird, ist allerdings vielerorts, gerade auf dem Lande eher ein Trauerspiel. Weder auf die Anwesenheit der Schüler, noch auf die der Lehrer wird gewissenhaft geachtet. Und ein gesungenes Alphabet trägt wenig dazu bei, gut in Amharisch, der ehemaligen alleinigen Staatssprache oder Englisch zu kommunizieren. Heute gibt es insgesamt 85 anerkannte Sprachen in Äthiopien und eine Vielzahl an Dialekten.

 

 

Der Stamm der Konzo

Tesfaye mahnt zum Aufbruch, denn wir haben noch einiges vor. Zunächst führt uns die Fahrt mit einem kurzen Kaffeestopp – aufgrund der aufwändigen Zeremonie ist das nie mit fünf Minuten Pinkelpause getan – nach Konso.

 

 

In der Kanta-Lodge, die einem Deutschen gehört und natürlich wieder in einer sehr exponierten Lage angesiedelt ist, essen wir zu Mittag und lesen hier unseren Guide auf für die Besichtigung eines Konso-Dorfes. Der junge Mann ist sehr gut vorbereitet und zählt zu den wenigen Konsos, die durch die Dörfer des Stammes führen dürfen, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen.

 

 

 

Mit Eifer erläutert er uns, dass die Konsos, die ihre Dörfer mit drei ringförmigen Steinmauern umgeben, hauptsächlich von der Landwirtschaft leben. Auf ihren Feldern können wir uns selbst von ihrem Anbaumix verschiedener Nutzpflanzen überzeugen. Häufig sind die Felder terrassiert, um das hügelige Land effizienter zu nutzen. Das Dorf besitzt mehre kulturelle Plätze, die durch Pfade miteinander verbunden sind und durch Strohdächer geschützt werden, wo sich die Männer und Jugendlichen am Abend treffen. Besonders interessant finde ich die Geburtenkontrolle der Konsos. Sobald eine Frau ein Kind geboren hat, darf ihr Mann nicht mehr bei ihr übernachten, sondern muss sich im „Gemeindehaus“, also einem dieser kulturellen Stätten nachts einquartieren. Erst wenn das Kind zwei Jahre alt ist, darf er sich seiner Frau wieder nähern. Aber da wir in dem Dorf ständig von einer Schar Kinder umringt sind, scheint diese Art von Empfängnisverhütung nicht sehr effizient zu sein.

 

 

 

Generationenbäume werden auch aufgestellt – eine Ähnlichkeit mit unseren Maibäumen ist fast nicht zu verleugnen und unser Führer zeigt uns, welchen Kraftakt junge Männer vollführen müssen, um erwachsen zu werden. Schon als Kinder trainieren die Jungs, Steine über den Kopf hinter sich zu werfen, denn wenn es ernst wird, gilt es einen großen Steinbrocken, der am Generationenbaum liegt, über den Kopf hinweg zu schleudern.

Spenden vor Ort

Zu Beginn unserer Reise hatte ich die beiden mit Kleidung und Schuhen gefüllten Reisetaschen, die ich zum Verschenken dabei hatte, an Zertihun gegeben, da wir auf den Inlandsflügen eine andere Gepäckregelung haben. Sie fährt so oft mit ihren Gästen in den Süden und kann so nach und nach an diejenigen verteilen, die am dringendsten Unterstützung benötigen. So handhabe ich es auch mit Tesfaye. Alles was ich an Stiften, Seifen und Kleidung noch dabei habe, gebe ich ihm. Mehrmals können wir beobachten, dass Touristen Kleinkindern in den Stämmen völlig unüberlegt Filzstifte schenken, die sie sich dann in den Mund stecken, weil sie gar nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Tesfaye erzählt uns von einem Fall, wo Touristen ihr Duschgel verschenkt haben und es die Kinder in dem Stamm versucht haben zu trinken. Guter Wille allein reicht halt einfach nicht, man muss auch manchmal das Hirn einschalten. Was soll jemand mit Duschgel, der sich grundsätzlich, wie es in manchen Stämmen der Fall ist, nie wäscht? Was soll er mit einem Stift, wenn er nie zur Schule geht? Was soll er mit Kleidung, wenn er in seinem Stamm nackt ist? Tesfaye weiß, wer was gebrauchen kann, wem es tatsächlich nützt und wie er verteilen muss, um Neid und Missgunst zu vermeiden. Ansonsten freuen sich viele Erwachsene und Kinder unterwegs auch über Bananen, die wir in Hülle und Fülle im Auto herumfahren und jenen geben, die uns eine kleine Gefälligkeit erweisen, wie z.B. die Wegweisung.

 

Jinka – das Tor zum Mago Nationalpark

Zu unserer Unterkunft in Jinka ist noch ein langer Weg, aber die Autofahrt ist keineswegs langweilig. Tesfaye zeigt und erzählt soviel Interessantes, kennt jeden, quatscht jeden an, macht mit jedem Spaß und so wird der Tag zu einem tollen Erlebnis, wie das Durchblättern eines Bilderbuchs.

 

 

 

 

Wir halten mal wieder an einem Markt, sehen Waschszenen am Fluss, probieren das einheimische bierähnliche Talla bei einem kurzen Stopp am Straßenrand in einem Dorf, treffen Menschen in Stammestracht am Wegesrand, weichen unzähligen Ziegen, Kühen und Schlaglöchern aus und erfahren erneut so viel über das Leben in diesem fantastischen Land. Am Abend wird es spät, bis wir in unserer Lodge eintreffen. Die Eco-Omo Lodge besteht aus lauter Zelten, die aber einen angenehmen Komfort bieten.

 

 

 

Leider können wir diesen nicht allzu lange genießen, da wir früh raus müssen, da wir zu den Mursi wollen, dem legendären Tellerlippenstamm. Aber für ein Abendessen im Restaurant ist noch ausreichend Zeit und natürlich auch für ein genüssliches Walia-Bier, meine Lieblingsbiermarke in Äthiopien und wesentlich bekömmlicher für unseren westlichen Magen als das gärende, breiartige Talla. Das Walia-Bier ist nach der endemischen Steinbock-Art im Simien-Nationalpark benannt, worauf man sehr stolz ist und was uns mindestens 20 mal erklärt wurde. Generell ist man in Äthiopien auf sehr vieles stolz – auf manches mit Recht und manchmal muss man auch über ihren Stolz ein wenig schmunzeln. Aber die meisten Äthiopier waren noch nie im Ausland. Woher sollten sie also eine Vergleichsmöglichkeit haben?

Der Stamm der Mursi

Aus dem frühen Aufbruch zu den Mursi wird dann leider nichts, da wir am Morgen feststellen, dass wir einen Platten haben. Tesfaye fährt nochmal nach Jinka, wo sich das Reifenproblem eher beheben lässt, als unterwegs. Eine halbe Stunde später ist er zurück. Wir haben inzwischen unterhaltsame Gesellschaft von ein paar Äthiopiern, die uns die Zeit vertreiben. Eineinhalb Stunden soll die Fahrt zu dem Volk dauern, das sich bisher allen Versuchen der äthiopischen Regierung, sie zu zivilisieren, erfolgreich widersetzt hat. Wir fahren dazu in den Mago-Nationalpark hinein, wo eigentlich jede Menge Wildlife zu sehen sein sollte.

 

 

 

Aber durch die Lkws, die aufgrund des Zuckerrübenanbaus diese Straße häufig frequentieren, lassen sich Löwen, Elefanten, Gazellen oder Kundus gar nicht erst sehen. Außer ein paar Vögel und Kleinantilopen läuft oder fliegt uns nichts über den Weg. Eigentlich wollte Tesfaye an diesem Tag auf Begleitung durch einen Soldaten verzichten, aber das gelingt uns nicht. So haben wir abgesehen von unserem Mursi-Guide auch noch einen schmächtigen Soldaten mit einer Kalaschnikov im Auto auf unserem Gepäck sitzen. Diesmal soll er uns wohl gegen die zeitweise aggressiven Mursis schützen, zu deren Hausstand durchgängig eine Kalaschnikov gehört, die sie sich im nahen Sudan besorgen. Ob dem schmächtigen Bürschchen das gelingen wird, scheint eher fraglich. Aber immerhin versteht er sofort, als wir ihm andeuten, dass er doch seine Gewehrmündung lieber gegen das Autodach richten soll als gegen unsere Rücksitzbank.

 

 

Kaum haben wir unseren bewaffneten Beschützer eingeladen, treffen wir auf die erste Mursifrau am Wegesrand, die uns wenig charmant auffordert, doch sofort ein Foto von ihr zu machen. 5 Birr ist der Tarif, den irgendein Tourist wohl mal vor vielen Jahren ignoranterweise eingeführt hat und an diesem Geschäftsmodell halten die Mursis auch unerbittlich fest. Eigentlich hätten sie es wirklich nicht nötig, denn wenn ein Mursi-Krieger eine Frau heiraten will, muss er 38 Kühe, 6 Ziegen, einen Bienenstock und eine Kalaschnikov dafür bezahlen. Die Mursis sind sozusagen alles Großbauern. Was sind da schon 5 Birr – umgerechnet 15 Cent? Aber offensichtlich gehts da wohl ums Stammesprinzip. Ein weiteres Prinzip scheint zu sein, möglichst missmutig zu schauen. Bei dieser ersten Begegnung mit einer Mursifrau muss sie erst ihren Teller in der Lippe einhängen. Früher durfte sie sich überhaupt niemandem außerhalb ihrer Hütte ohne Platte zeigen. Heute sieht man das wohl nicht mehr so eng, weiß aber sehr wohl, dass 5 Birr nur gefordert werden können, wenn das Schmuckstück eingelegt ist. Ohne sieht sie eh eher unattraktiv aus mit ihren bis zum Kinn hinunterhängenden und ausgeleierten Lippenlappen. Mit ist sie allerdings auch nicht viel hübscher. Im Stamme der Mursi leben noch etwa 12.000 Menschen, die dem modernen Leben abgeschworen haben und es ist ihnen auch auf das Strikteste untersagt, sich mit anderen Stämmen zu vermischen. Sie sind Nomaden und leben hauptsächlich von der Rinderzucht.

 

 

 

Da sich die Mursis nicht großartig wie die meisten anderen Äthiopier mit Kochen aufhalten, sondern am Morgen Milch mit Rinderblut vermischt trinken und ab dem Nachmittag die Nahrung nur noch in flüssiger Form von Arraqi zu sich nehmen, haben sie viel Zeit, sich den vereinzelten Touristen, die ins Dorf kommen, gegen Geld zur Schau zu stellen. Bei so mancher alten Dame hat man tatsächlich selbst am Vormittag schon Angst, dass sie einem dann nachts im Traum erscheint. Die Mursis sind weder attraktiv, noch liebenswürdig, sondern einfach nur unangenehm in ihren Forderungen. Das ganze Spektakel ist irgendwie grenzwertig und hat für die Mitglieder des Stammes etwas entwürdigendes.

Wir sind froh, als wir wieder loskommen, zumal auch unser Guide vom Stamme der Mursi wenig kommunikativ ist, wenig zu erzählen hat und den Ausflug vor allem genutzt hat, ein paar Freunde im Dorf zu besuchen, die er uns immerhin zum Teil vorgestellt hat und die den schlechten Eindruck, den ihre Stammesgenossen hinterlassen haben, wieder etwas wett gemacht haben. Gott sei Dank haben wir Tesfaye und unsere Bücher. So erfahren wir, dass eine der Erklärungen für die Tellerlippen ist, dass die Frauen möglichst unattraktiv für den Sklavenhandel durch diese Verstümmelung werden sollten. Heute hingegen ist es ein Merkmal für die gesellschaftliche Stellung im Dorf.

 

 

Da unser Reifen schon auf der Hinfahrt zum Dorf erneut seinen Geist aufgab, dies aber an einer Stelle passierte, wo gerade acht Mursijungs für eventuell vorbeikommende Touristen in Four-Wheel-Drive-Jeeps posierten und sich noch dazu ein gigantischer Ausblick auftat, war dies weniger schlimm. Außerdem leisteten uns unsere neuen Bekannten vom Morgen, die Pannenhilfe leisteten, erneut Gesellschaft. Voller Staunen betrachteten sie unsere Handyfotos vom Bayerischen Winter. Die Schneefotos waren der Renner, allerdings ging unser Handel, 5 Birr für ein Schneefoto abzukassieren aber irgendwie nicht auf.

Der Stamm der Ari

In Jinka machte Tesfaye nun die Reifen endgültig wieder klar, während wir einem Ari-Dorf einen Besuch abstatteten. Jede von uns hatte plötzlich vier kleine Mädels an der Hand, die uns ihre Englisch-Kenntnisse präsentierten und mit uns durchs Dorf liefen. Wie nett sind doch diese Aris im Gegensatz zu den Mursis.

 

 

Auf dem Weg zu unserem heutigen Standort Turmi ganz im Süden des Landes passieren wir noch einen Markt, auf dem die beiden Stämme Hamer und Benna ihre Waren verkaufen. Hamer und Benna sind sich sehr ähnlich, sprechen die gleiche Sprache und dürfen sich auch untereinander vermischen. Die Bilder, die sich uns bieten sind fantastisch. Die Hamer- und Benna-Frauen tragen kurze dünne Zöpfchen in einer Art Prinz-Eisenherz-Schnitt. Die Zöpfchen werden mit Butter, Weihrauch und Erde eingerieben, außerdem tragen sie ganz traditionelle Kleidung.

 

 

 

Sie begegnen uns freundlich und lassen sich nicht aus der Ruhe bringen, als sie gegen Ende des Markts zusammensitzen, klatschen und tratschen und ihr dickflüssiges Bier Talla zusammentrinken, das man übrigens gerne auch Kindern einflößt, da es nahrhaft und beruhigend ist. Auch auf dem Tiermarkt schauen wir noch vorbei, allerdings finden sich dort nur noch ein paar Kühe und Ziegen, die keiner mehr haben will. Esel sind an dem Tag bereits ausverkauft. Beeindruckend sind die jungen Männer, die unglaublich groß sind und Beine bis zum Hals haben, die bei ihren kurzen Röcken sehr gut zur Geltung kommen. Ausnahmsweise muss man mal als Frau ständig auf die Beine eines Mannes glotzen.

 

 

 

Auf der Weiterfahrt begegnen uns immer wieder Menschen aus dem Stamm der Hamer, die von Märkten zurück in ihre Dörfer laufen. Man gewöhnt sich an die Bilder, aber wenn man kurz innehält, dann muss man sich bewusst machen, dass wir im 21. Jahrhundert leben und diese Menschen, deren junge Generation anfängt westliche Kleidung zu tragen und Handys zu benutzen, gerade versucht, einen Spaghat zu machen, zwischen Überleben in der Moderne und Erhaltung der alten Traditionen.

 

 

Die Buska-Lodge ist ein weitläufiges Areal, etwas außerhalb von Turmi. Die Hütten sind geräumig, Wasser gibt es auch und die Betten sind mit Moskitonetzen komfortabel ausgestattet. Was wollen wir mehr, als wir nach diesem den ganzen Tag anhaltenden Durchblättern eines Bilderbuchs todmüde in unsere Betten fallen?

 

 

Der Stamm der Dassanetch

Am nächsten Tag will uns Tesfaye ins Grenzland nach Kenia bringen, wo wir nach einer kurzen Passkontrolle am Omo mit einem Boot übersetzen. Nassi, ein junger Einheimischer begleitet uns in das Dorf der Dassanetch hinein.

 

 

Die Atmosphäre ist viel angenehmer als am Vortag bei den Mursi, weil die Menschen freundlicher sind und nicht permanent zu Fotos und deren Bezahlung auffordern. Im Dorf finden wir hauptsächlich Frauen, Kinder und Alte vor, da die Männer mit den Rindern zu Weideflächen unterwegs sind. Ein junger großgewachsener Krieger, die Dassanetch stammen aus der gleichen Volksfamilie wie die kenianischen Massai, hält zu Hause die Stellung und übernimmt beim Eintreffen der Touristen sozusagen das Eventmanagement. Aber wir haben viel Spaß zusammen und somit hat man nicht das Gefühl, dass die Menschen hier nur noch für die Touristen posen, sondern dass tatsächliches Dorfleben stattfindet.

 

 

 

Die Frauen tragen prächtigen Halsschmuck und an der Frisur kann man erkennen, ob sie verheiratet sind und wieviele Kinder sie haben. Die Dassanetchs tanzen ein bisschen für uns und wieder ist viel Spaß mit dabei. Als wir später mit Nassi und John, dem Chef der örtlichen Dassanetch-Guide-Assoiciation unter einem schattigen Baum sitzen und diskutieren, kommen wir auf meinen Job, meine frühere Tätigkeit als Reiseleiterin und meine Tourismuserfahrung zu sprechen. Sie erzählen von der Gratwanderung, die Stammestraditionen zu erhalten und dennoch denen, die es möchten, den Weg in die Moderne zu ermöglichen. Sie erzählen von ihren Plänen, einen Campground zu bauen, um den interessierten Travellern mehr Nähe zum Stamm zu ermöglichen. Wir kommen vom 100sten ins 1000ste. Später stößt Tesfaye, ein absoluter Profi in Sachen Äthiopischer Tourismus und Dienstleistungsqualität dazu. Es gäbe schon sehr viel zu tun in diesem Land mit der fantastischen Kultur, der Natur und der Geschichte, zumal ich bisher noch kein afrikanisches Volk auf meinen Reisen getroffen haben, das so engagiert das Thema „Service am Gast“ angeht wie die Äthiopier. Ich beschließe, mit John via Whatsapp in Kontakt zu bleiben. Mir gefällt die Sichtweise auf den Tourismus, das Engagement und die Begeisterung für das Land, auch der Tatendrang und die Ideen, obwohl es doch jungen Leuten, die Visionen haben, in dem Land nicht sehr leicht gemacht wird.

 

 

Auf dem Rückweg nehmen wir einen Polizisten in Zivil mit nach Turmi. Er muss zu einem Verkehrsunfall mit drei Toten, etwa eine Stunde von Turmi entfernt. In Ermangelung von Polizeiautos in Äthiopien muss er sich eine Mitfahrgelegenheit suchen, um sich der Unfallstelle anzunähern. Wir können ihm diese Möglichkeit leider nur für die ersten eineinhalb Stunden bieten.

Der Stamm der Hamer

Am späten Nachmittag wollen wir nach einer Pause, in der wir uns ordentlich entstauben müssen, nochmal los und die Hamer besuchen, die dann von den Märkten und den Feldern mit dem Vieh zurückkommen und ein buntes Bild abgeben.

 

 

 

Wir verabreden uns mit einem Guide, der mit seinen Kumpels in Turmi abhängt. Er bringt uns später zu seinem Dorf. Obwohl uns die Hamer ja bereits optisch vertraut sind, lernen wir erneut eine völlig andere Kultur kennen, sehen andere Bauweisen der Hütten, andere Traditionen, andere Kleidung. Aber irgendwie fühlt man sich wohl bei Ihnen. Ein alter Herr ist sehr angetan von meiner Tasche und möchte unbedingt wissen, was das ist. Ein anderer zeigt uns stolz seine Narben, die ihm auf der Haut eingeritzt wurden, weil er einen Feind getötet hat.

 

 

 

 

Ich möchte gar nicht wissen, wie vielen Mördern wir an dem Abend begegnen. Ein anderer marschiert imposant mit seinem Patronengürtel um die Hüften mit uns durchs Dorf. Sieht fast ein bisschen nach Dekoration aus. Sein Gewehr hat er in der Hütte gelassen. Über kindersichere Aufbewahrung der Waffe in der 10 m2 großen Rundhütte machen wir uns mal lieber keine Gedanken. Wir werden zu einer ganz speziellen Kaffeezeremonie gebeten. Während wir sie im Norden ja mit richtigem Kaffee kennengelernt haben, kennen die Völker hier im Omotal keine Kaffeebohnen. Sie kaufen auf dem Markt die Schalen der Bohnen und kochen eine Art Tee daraus. Schmeckt ein bisschen wie Roiboos. Danesh, unser Guide erzählt uns, dass die Regierung auch von den Hamers fordert, sich zu zivilisieren. Dazu gehört auch, dass sie Toiletten in ihren Dörfern bauen. Er zeigt uns das Gestell aus Ästen, das alibimäßig gebaut wurde und mit viel Phantasie einem Toilettenhäuschen gleicht, aber die Hamers weigern sich, es zu benutzen und gehen lieber weiterhin in die Büsche, um ihre Geschäfte zu verrichten. Immer wenn die Regierung versucht, die Stämme des Omo-Tals in ein modernes Leben einzugliedern, argumentieren diese, dass sie den orthodoxen Christen ja auch nicht verbieten, am Mittwoch und Freitag zu fasten und an den Sonn- und Feiertagen in die Kirche zu gehen.

 

 

Als wir später zu unserer Lodge zurückfahren, sehen wir viele Hamer-Frauen in Tursi, die mit Sorghum-Hirse-Säcken, die ihnen von der UN-Hungerhilfe an Verteilplätzen in der Stadt ausgehändigt werden, in ihre Dörfer zurückkehren. Man muss nicht lange darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoller wäre, dem Volk den Anbau von Sorghum beizubringen, als sie mit dem geernteten Getreide zu versorgen. Aber sich mit der stellenweise völlig fehlgeleiteten Entwicklungshilfe in Afrika auseinanderzusetzen, ist ein anderes Thema. Es ist spannend zu sehen, ob den Stämmen in den Dörfern am Omo und in anderen südlichen Teilen Äthiopiens die Gratwandlung zwischen dem Erhalt ihrer Traditionen und dem Schritt in die Moderne gelingt.

 

 

Auf dem Weg von Turmi nach Abar Minch bietet es sich an am Donnerstag in Key Afer den Markt zu besuchen. Drei verschiedene Stämme treffen sich hier, um ihre Waren und die neusten Informationen auszutauschen: Ari, Benna und Surma.

 

 

Ein buntes Treiben herrscht und von der aus Reifengummi gefertigten Sandale bis zum Ochsen kann man hier alles kaufen. Der Viehmarkt ist natürlich spannend. Wir lassen uns zeigen, wie die Tiere gewogen werden und man erklärt uns, wieviel welcher Stier wert ist. Wir kaufen einem kleinen Mädchen auf dem Markt Schuhe, weil sie bisher keine besitzt und decken uns mit ein paar Souvenirs ein.

 

 

Beim Handeln stehen sich der Verkäufer und ich in nichts nach. Am Ende sind wir beide zufrieden. Auf dem Markt geht es an diesem Tag verhältnismäßig ruhig zu, da zudem noch der Feiertag des Erzengel Gabriel ist, und sich diejenigen, die sich zum äthiopisch-orthodoxen Glauben bekennen, in der stundenlangen Zeremonie in der Kirche aufhalten.

 

 

Nach einer gemütlichen Mittagspause setzen wir unsere Reise nach Abar Minch am Chuma-See fort. Wir sind in der Paradise-Lodge untergebracht, angeblich eine der besten Lodges des Landes. Vielleicht liegt es daran, dass unsere Unterkunft etwa zehn Minuten Fußmarsch von der Rezeption entfernt liegt und wir nur auf einen Bretterverschlag und einen Stacheldrahtzaun blicken, vielleicht liegt es auch daran, dass im Zimmer ausdrücklich vor Kakerlaken gewarnt wird, jedenfalls können wir auch nach dem ersten Bier noch keinen so rechten Gefallen an der paradiesischen Lodge finden, die eigentlich von der Rezeption und dem Restaurant aus einen tollen Blick auf den See bietet.

 

 

Viele Familien, bei denen ein Elternteil aus Äthiopien stammt, verbringen hier die Weihnachtsferien und es ist durchaus verständlich, dass man uns für unseren 1-Nacht-Aufenthalt nicht gerade das beste Zimmer reserviert hat. Tesfaye hatte schon am Nachmittag vorgeschlagen, uns das beste Fischrestaurant der Stadt am Abend zu zeigen und wir waren froh, dass wir seinen Vorschlag angenommen hatten. Das ausschließlich von Einheimischen besuchte Lokal Soma war einfach, aber man konnte draußen sitzen und was uns dann auf den Tisch gezaubert wurde, war einfach unglaublich und vor allem total köstlich. Einmal mehr war es gut, unserem professionellen Driverguide zu vertrauen. Manchmal hatten wir wirklich den Eindruck, dass er uns jeden Wunsch von den Augen ablas.

 

 

Am nächsten Morgen wollten wir auf dem Lake Chamo zum sogenannten Crocodile-Market fahren, den wir uns ursprünglich tatsächlich als Verkaufsplatz für Krokodile vorgestellt hatten, was ja eigentlich aber wenig Sinn macht. Tatsächlich handelt es sich um einen sonnigen Treffpunkt am Ufer des Sees für die 10.000 Krokodile, die in dem leicht salzhaltigen Gewässer beheimatet sind und jedes Jahr zwischen acht und zwölf Fischer auffressen. Touristen passiert aber nichts, da selbst die Krokodile in Äthiopien gastfreundlich sind, wie man uns augenzwinkernd glaubhaft versicherte. Aber da es zunächst kein Boot für uns gab, bzw. keinen Bootsführer dafür, dauerte es ein bisschen bis wir losschippern konnten.

 

 

 

Aber das Warten hatte sich gelohnt. Hippos und unzählige Krokodile, fast zum Greifen nah, erwarteten uns und beäugten uns träge, als wir uns mit unserem kleinen Boot näherten. Tom, unser Local-Guide erzählte uns während der knapp zwei Stunden dauernden Fahrt Interessantes zu der Krokodil-Population, wies uns auf die Maribus hin, die in den Bäumen standen, zeigte uns Fischadler und das eine oder andere wackelnde Ohr eines abgetauchten Hippos.

 

 

 

 

 

 

Wie so oft auf dieser Reise mussten wir feststellen, dass es auf eigene Faust kaum möglich ist, all diese Aktivitäten zu unternehmen. Erst muss in einer versteckten Ecke, nach einer zehn Minuten dauernden Fahrt auf einer nicht ausgeschilderte Sandpisten der Eintritt für den Nationalpark gekauft werden, dann geht es zurück in die Stadt zum Büro der Schiffskooperation, dann zum See zum Bootsanlegesteg, der allerdings ab und an verlegt wird… Selbst Tesfaye muss sich hin und wieder durchfragen.

 

 

Nach diesem erholsamen Bootsausflug geht die Fahrt auf einer ausgesprochen abwechslungsreichen Strecke etwa 240 km nach Hawassa. Wir passieren Dörfer, Städte und Landschaften – man wird nicht müde, aus dem Fenster zu sehen. Überall wird etwas verkauft: Hühner, Mango, Bananen, Avocados etc. Obwohl wir nun schon 14 Tage in Äthiopien unterwegs sind, gibt es jeden Augenblick Neues oder Interessantes zu sehen. Je näher wir uns Addis nähern – und wir sind jetzt auf der Haupt-Nord-Süd-Achse des Landes unterwegs – umso umtriebiger wird es auf den Straßen. Oft geht es nur eingeklemmt zwischen Rinderherden, Eselkarren, Bananenlaster und Fußgänger auf der fünften Spur für uns vorwärts. Die letzten Tage haben Tesfaye die vielen unbefestigten Straßen und Schlaglöcher einiges an Fahrkunst abgerungen, jetzt sind es eher die anderen Verkehrsteilnehmer.

 

 

 

Aber es ist immer etwas los – entweder auf der Straße oder bei uns im Auto, wo über Gott und die Welt diskutiert wird. Mal halten wir an, weil wir Obst einkaufen, mal, weil wir einem Bauern beim Dreschen zuschauen, mal, weil wir eine muslimische Familie besuchen, die eine Minute zuvor noch gar nichts von ihrem Glück wusste. Die Kinder bekommen die Bananen, die wir kurz zuvor gekauft haben und schon lassen sie uns mal kurz in ihre Hütte schauen. Ich stell mir vor, wie ein bayerischer Bauer reagiert, wenn plötzlich zwei afrikanische Touristen bei ihm im Hof stehen. Tesfaye hat laufend spontane Einfälle und nie kann ein Äthiopier seinem Charme widerstehen. Der Mann ist einfach ein Glücksgriff für uns.

 

 

Hawassa und das Haile Resort

Unterkunftstechnisch erwartet uns in Hawassa eines der Highlights unserer Reise: Das Haile-Resort, gebaut von der äthiopischen Lauflegende Haile Gebreselassi und ein absolutes Luxus-Resort. Wir kommen uns schon fast fehl am Platz vor mit unseren eingestaubten Klamotten, da sich hier die Äthiopische Upperclass eingemietet und auch ziemlich herausgeputzt hat. Aber wir genießen das schöne Hotel, den Blick auf den Hawassa-See und die heiße Dusche natürlich sehr.

Hawassa gilt als eine der schönsten Städte des Landes, ist Universitätsstadt und wächst unaufhörlich. Als Verwaltungsstadt für die südlichen Territorien hat sie außerdem in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Wir fahren gleich am Morgen zum Fischmarkt, wo sich im Laufe des Vormittags die über 280 offiziellen Fischer, die auf dem Hawassa-See zugelassen sind, mit ihrem Fang einfinden. „Fish“ so stellt sich unser Guide mit Rastafrisur vor, der uns zunächst was von Liebe und Gott erzählt. Was ist das denn für ein schräger Vogel? Aber er hat durchaus was zu erzählen, wie sich herausstellt. Der Fischmarkt unterscheidet sich völlig von allen Fischmärkten, die ich bisher gesehen habe. Geradezu beschaulich geht es dort zu.

 

 

 

 

In der einen kleinen „Halle“ werden die Telapia-Fische filetiert und auf Plastiktellern schön drapiert, um anschließend gleich roh vor Ort von den Einheimischen, die zum Fischmarkt kommen, zum Frühstück verspeist zu werden. Sieht alles superlecker aus. An anderen Stellen werden die Fische ausgenommen und unzählige Maribou-Störche lauern schon auf den Fischabfall. Eine bizarre Szenerie mit den großen Vögeln, die zwischen den Fischern umherstaksen. Wir spazieren mit Fish noch durch einen kleinen Park an der Promenade des Sees, wo es diverse Vogelarten und Affen zu beobachten gibt.

 

 

So schräg ist er eigentlich gar nicht. Als er uns dann von seiner Guide-Association erzählt, für die er arbeitet und die den Namen „Ethiopien Boys“ trägt, ist man dann doch angesichts des bildhübschen Rastaman ein wenig irritiert…

 

 

Wenige Kilometer von Hawassa entfernt liegt Shashemene, die Hochburg der Rastafaris in Äthiopien. Noch heute pilgern Anhänger von Bob Marley und Kaiser Haile Selassie zu deren Geburtstagen jährlich in den eher hässlichen Ort. Wir besuchen einen richtigen Rastafari, Ras Bandy, der eine kleine Banana Art Galerie hat, und mit einigen Kunstpreisen ausgezeichnet wurde. Seine Werke sind überschaubar und werden ausschließlich aus Bananenblättern angefertigt.

 

Baden am Langano See

Es sind nur ein paar Kilometer bis zur Sabana Lodge am Langano-See. Wir übernachten heute in diesem kleinen Paradies und weitläufigen Areal. Von den Liegestühlen auf der Terrasse der Bungalows hat man einen wunderbaren Blick auf den See, dessen Wasser aufgrund der vielen Sedimente eine braun-rosa Farbe bietet. Der Langano-See ist der einzige Badesee in Äthiopien – ohne Krokodile und Bilharziose-Gefahr. Der kleine 200 m lange Strand mit Bootsverleih, Strandbar und Liegestühlen zieht Äthiopische Großfamilien am Wochenende aus Addis an. Hätten wir im Vorfeld gewusst, dass es eine solche Idylle in dem Land gibt, hätten wir unsere Ruhephase wohl hier eingeplant und somit einen Reisetag, Klimawechsel und Kulturschock auf Zanzibar vermieden. Wir wären gerne länger in der Sabana Lodge geblieben.

 

 

Wieder einmal heißt es früh raus am nächsten Morgen, da wir sehr zeitig im nahen Abiyata-Shala-Nationalpark sein wollen. Leider gibt es nicht mehr allzu viele wilde Tiere hier, da wie so häufig in Äthiopien der Nationalpark von der Regierung so gut wie nicht geschützt wird. Viele der im Park lebenden Menschen sehen die wilden Tiere als wenig schützenswert an und verteidigen verständlicherweise ihr Vieh dagegen. So freuen wir uns über ein paar Strauße, Wildschweine und Antilopen, während wir mit einem netten Scout – ausnahmsweise unbewaffnet – durch einen kleinen Teil des Parks streunen.

 

 

 

 

Später fahren wir mit dem Jeep noch direkt an den Abiyata-See heran, der als Lebensraum für Flamingos und Pelikane gilt. Zweitere waren heute nicht zugegen, aber die Flamingos boten mit Hilfe des Scouts, der sie hin und wieder unter Einsatz seines ganzen Körpers aufscheuchte, eine gute Show wenn sie farbenprächtig ein paar Runden über dem See drehten.

 

 

 

 

Heiße Quellen besichtigen wir auch noch, wo ein Stamm der Oromo gerade mit seiner Kamelherde vorbeizieht und außerdem Bade- und Waschtag ist. Das Wasser brodelt und kommt 95 Grad heiß aus dem Wasser. Kurz bevor es in den See fließt, hat es immer noch gute 40 Grad. Der Shala-See, ein weiterer der sieben Rift-Valley-Seen trocknet unaufhörlich aus, da die Regierung hier seit Ende der 90er Jahre Sodaasche abbaut und damit – kurzsichtig wie so häufig – den natürlichen Lebensraum von vielen Vögeln zerstört und auch die Fischpopulation völlig ausgerottet ist.

 

 

 

 

Wir wollen an dem Tag noch nach Woliso in Westäthiopien in der Nähe des Wenchi-Kratersees. Erfreulicherweise meint Tesfaye, dass es eine neue Verbindungsstraße gibt, sodass wir nicht nur auf den weißen zarten Linien fahren müssen, die ich auf meiner Landkarte entdecke. In der Tat kommen wir sehr zügig voran und erneut treffen wir auf eine fantastische Landschaft bis in 3.000 m Höhe mit abwechslungsreicher Landwirtschaft, idyllischen Dörfern, bunten Märkten und interessanten Gesichtern.

 

 

 

 

Da unser „King of the Road“ mal wieder alle kennt, bekommen wir von einem Bauern als Wegzehrung geröstetes Getreide geschenkt und bei anderen schauen wir mal kurz in deren Hütte vorbei. Außerdem treffen wir endlich auf den kleinen Teil des Rift Valley, wo der leckere Wein angebaut wird. Weinproben werden allerdings noch nicht angeboten, wenngleich wir am Straßenrand eine kleine Enothek sehen, wo man Wein kaufen kann. Auch sehr imposant sind die kilometerlangen Rosenzuchtbetriebe entlang der Straße, die die Holländer hier betreiben. Tesfaye sagt, man kann hier gutes Geld verdienen – klar, mit dem Einatmen von Pestiziden, die in Europa längst verboten sind.

 

 

 

 

Am frühen Nachmittag erreichen wir die Negash-Lodge in Woliso. Tesfaye hat uns schon angekündigt, dass vermutlich aus unserem Ausflug an den Wenchi-See nichts werden könnte, da es zu politischen Unruhen kam und der Park geschlossen ist. Am Tag zuvor war ein Jeep mit Steinen beworfen worden, da es aufgrund eines Todesfalls mit einem Deutschen im Norden von Äthiopien in der Danakil-Wüste vor einigen Wochen nun immer wieder zu Zusammenstößen zwischen der Regierung und gewissen Stämmen kommt, die mit der politischen Situation unzufrieden sind. Ein Thema, über das man mit Tesfaye stundenlang diskutieren kann, zumal ihm die Entwicklung eines professionellen Tourismus in seiner Heimat sehr am Herzen liegt, die aber durch die bürokratische und korrupte Administration blockiert und behindert wird.

 

 

 

Tatsächlich stellt sich heraus, dass der Park auch am nächsten Tag geschlossen bleibt. Also machen wir uns einen netten Nachmittag in unserer Negash-Lodge, die ebenfalls wieder Anziehungspunkt für viele Äthiopier ist. Obwohl sie ja keinen Jahreswechsel haben – der erfolgt erst im September – haben sich doch einige das Wochenende eine Auszeit in der netten Lodge gegönnt, wo alle Häuschen im Stil verschiedener Volksgruppen errichtet sind. Wir wohnen in der Afar-Hütte – wenn wir schon nicht zu den Afars und in die Danakil-Wüste aus Zeitmangel reisen konnten, so übernachten wir wenigstens in einer ihrer Unterkünfte.

Der Silvesterabend wir relativ unspektakulär, da die vielen Menschen, die sich am Nachmittag noch in unserer Lodge getummelt haben, am Abend spurlos verschwunden sind. Und die Affen, ebenfalls zahlreich auf dem Gelände vertreten, haben sich auch schon zur Nachtruhe zurückgezogen. So sind wir eigentlich die einzigen Gäste im Restaurant und unsere gute Flasche Rift Valley schaffen wir nur bis zur Hälfte, als so langsam die Lichter gelöscht werden. Was soll’s – dann gehen wir halt um zehn ins Bett. Das Neue Jahr läuft uns ja nicht davon.

Zurück in Addis

Am nächsten Morgen hat sich an der politischen Lage nichts geändert. Der Park bleibt geschlossen, die Banken auch. So muss ich Tesfaye erst einmal ein bisschen Geld leihen, damit er unsere Hotelrechnung bar bezahlen kann. Der Weg führt uns heute direkt nach Addis. Wir brauchen keine zwei Stunden dazu. Wir wohnen wieder im Hotel Bole Ambassador, das wir ja schon von der Anreise und auch von meinem Zwischenstopp her kennen. Nachmittags treffen wir uns nochmal mit Tesfaye in einer der angesagtesten Kaffeebars Tokoma von Addis. Diesmal hat er seinen Neffen mitgebracht, der gerade aus Kenia zu Besuch ist und auf eine Aufenthaltsgenehmigung für die USA wartet. Aber es sieht schlecht aus und so will ihn „The King of the Road“ selbst ein bisschen unter die Fittiche nehmen und ihn für den Tourismus fit machen. Nachdem wir ja schon die ganzen Tage sehr angeregte Unterhaltungen bezüglich der Entwicklung des äthiopischen Tourismus geführt haben, zeige ich ihm heute Fotos von Jeeps mit Dachzelten, wie sie in anderen Teilen Afrikas genutzt werden. Tesfaye ist begeistert und man merkt, wie er schon wieder Pläne ausheckt, wie das in Äthiopien aussehen könnte.

 

 

Für den Abend wollen uns Zertihun und Tesfaye in eine Show mit Abendessen einladen. Klar kennt man solche Folklore-Shows schon zu Genüge. Wie viele davon habe ich in meiner aktiven Zeit im Tourismus wohl besucht? Was für uns selbstverständlich ist, ist für die beiden ein großes Event. Und tatsächlich wird es ein sehr netter Abend mit meinem letzten Injera-Fastenbrecher-Essen und den Volkstänzen von verschiedenen Stämmen. Schön ist es auch, mit den beiden Menschen den letzten Abend in Äthiopien zu verbringen, die uns doch inzwischen sehr ans Herz gewachsen sind. Die Umarmungen sind herzlich und wehmütig, als uns Zertihun und Tesfaye am Abend in unserem Hotel abliefern.

 

 

Obwohl wir nur so kurze Zeit in Äthiopien gereist sind, fällt der Abschied schwer. Das Land hat all meine Erwartungen übertroffen – bezüglich Landschaft, Kultur, Traditionen und auch bezüglich der Menschen, die uns mit so viel Offenheit begegnet sind – egal ob orthodoxer Christ oder Muslime. Wir hatten mit Tesfaye in der zweiten Hälfte unserer Reise einen Begleiter, der unglaublich professionell seinem Job nachkam und auch menschlich eine große Bereicherung war. Er hat sehr viel zu den unzähligen großartigen Erlebnissen beigetragen, die wir genießen durften. Äthiopien hat so viel Potential und so viele Menschen, die etwas verändern wollen. Bleibt zu hoffen, dass das auch das Regime irgendwann erkennt.

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