Wenn ich im Vorfeld Freunden und Geschäftspartnern von dem Vorhaben nach Armenien zu reisen, erzählte, dann gab es recht unterschiedliche Reaktionen. Die einen gaben freimütig zu, keine Ahnung zu haben, wo das Land eigentlich auf der Weltkarte lag, die anderen googelten wohl heimlich im Internet, aber ein erstaunlich großer Anteil konnte es sofort einordnen, was vermutlich mitunter auch an der Medienpräsenz des kleinen Landes in diesem Jahr lag. Geographisch gesehen ist Armenien klein, aber groß, was Geschichte, Kirchengeschichte, Archäologie, Botanik und viele andere Disziplinen betrifft.
Warum fährt man denn um Himmels Willen nach Armenien?
Armenien und ich – das war keine Liebe auf den ersten Blick, aber eine langsame, intensive Annäherung, geprägt von einer gewissen Schwermut, die zu dem schicksalsgebeutelten Land passt. Und wenn man wieder zu Hause ist, dann stellt man sich die Frage, was es jetzt genau war, was diese subtile Faszination ausgemacht hat, die einen letztendlich dann doch sehr fesselt und nicht mehr loslässt.
Gemeinsam mit Dr. Birgit Bornemeier und Jens Hausmann vom Studienreiseveranstalter Reisekultouren mache ich mich auf den Weg nach Eriwan, bei dessen Namen mir aus meiner Kindheit einzig die köstlichen Zitate von Radio Eriwan einfielen. Weitere Assoziationen hatte ich mit der Hauptstadt Armeniens bislang nicht. Birgit Bornemeier hatte sich mit mir ausgetauscht, weil sie vor hatte, Armenien neu in ihr Programm aufzunehmen. Wie bei allen anderen Reisen auch, wollte sie sich selbst vor Ort erst ein Bild von der Situation machen, um dann die für ihre Gäste geeignete Route zusammenzustellen. Da wir seit Jahren von einer solchen Reise, eventuell auch in Kombination mit Georgien gesprochen hatten, wandte sie sich nun an mich und bat mich um meine fachliche Unterstützung, vor allem auch um meine Einschätzung der Gegebenheiten vor Ort. In Zusammenarbeit mit der Agentur Arcus Tours hatte Frau Bornemeier ein ambitioniertes Programm für die nächsten Tage ausgearbeitet. Natürlich galt es alle möglichen interessanten Besichtigungspunkte in unser Programm einzubauen, um am Ende der Reise die Entscheidung für die Höhepunkte und Besonderheiten treffen zu können. Daneben standen aber, wie es sich bei einer gut organisierten Vortour gehört, auch jede Menge Hotelbesichtigungen auf dem Zeitplan, da die Hotelqualität in Armenien noch sehr unterschiedlich ist und es einer gezielten Überprüfung vor Ort bedarf, um den Standard der deutschen Gäste zu erfüllen. Der Dritte in unserem Bunde, Jens Hausmann, ist für die Fotos zuständig, die den Armenien-Interessenten dieses wunderbare Reiseland näher bringen sollten.
An der Grenze von Georgien zu Armenien beginnt eine andere Welt
Wir sind unglaublich gespannt, als wir am späten Nachmittag in Richtung georgisch-armenische Grenze fahren. Die Landschaft, die Dörfer und das Wetter werden zunehmend trostloser je weiter wir uns der georgisch-armenischen Grenze bei Brava nähern. Die armenische und georgische Grenze liegen zwei Kilometer auseinander, dazwischen ist Niemandsland, in dem allerdings seit Jahren an einer neuen Grenzstation gebaut wird. Wir dürfen nach der Ausreise aus Georgien mit dem Auto fast bis an die Grenze von Armenien heran fahren, was uns aufgrund des Baustellenmorasts auch sehr entgegen kommt – allerdings nur auf 100 Meter. Nachträglich lässt sich nicht mehr genau feststellen, wer diese „Bannmeile“ festgelegt hat, denn die armenischen Grenzer sind etwas verwundert, warum wir zu Fuß bei dem Regen zur Passkontrolle marschieren. Dass die Einreisekontrolle dann etwas länger dauerte, liegt nur daran, dass sich die Beamten unsere Visastempel in aller Ausführlichkeit ansehen. Viel ist hier nicht gerade los, daher nimmt man sich für die Besucher aus Deutschland gerne Zeit und heißt sie abschließend herzlich Willkommen in Armenien.
Auf armenischer Seite erwarten uns Naira, unsere Reiseleiterin und David, unser Fahrer für die nächsten Tage. Naira, die uns als eine der besten Reiseleiterinnen in Armenien angekündigt wurde, begrüßt uns in perfektem Deutsch. Wie sie uns später sagt, hat sie die Sprache ausschließlich in Armenien gelernt, was für uns in dieser Perfektion unfassbar ist. Unmittelbar nach dem Übertreten der Grenze wird uns der Unterschied zwischen Armenien und Georgien schnell offensichtlich. Armenien scheint eindeutig ärmer. Für die 50 km Fahrt nach Gyumri, der zweitgrößten Stadt des Landes, brauchen wir mehr als eine Stunde, denn die Straße ist schlecht, voller Schlaglöcher und außerdem ist das Wetter immer noch nicht berauschend. Der Grenzübergang befindet sich fast auf 2.000 m im Kleinen Kaukasus und dementsprechend sind bei Regen auch die Temperaturen. Am Wegesrand findet sich sogar noch Schnee.
Gyumri spiegelt die Seele Armeniens wider
Gyumri zu Beginn unserer Armenienerkundung ist ein guter Einstieg, um mit dem Schicksal Armeniens und der Armenier konfrontiert zu werden und sich mit der wechselhaften Geschichte auseinanderzusetzen. Diese Konfrontation darf bei einer Bereisung des Landes nicht ausbleiben, denn in Armenien macht man nicht einfach Urlaub, sondern Armenien muss man begreifen, erleben und verstehen, nur dann kann man sich auf das Abenteuer Armenien einlassen. Die Stadt ist 1988 bei einem Erdbeben stark zerstört worden. 70% von Gyumri lagen in Ruinen. Während der Sowjetzeit hatte man keine Rücksicht darauf genommen, dass man hier in stark erdbebengefährdetem Gebiet baute, sondern die gleichen Hochhäuser realisiert, wie in anderen Teilen der UDSSR auch. In ganz Armenien wurden an diesem 7.12.1988 600.000 Einwohner obdachlos und etwa 25.000 Menschen wurden bei dem Beben getötet. Aufgrund des Embargos, das in dieser Zeit das Land isolierte, konnten Hilfsgüter nur über die Luft angeliefert werden. Außerdem fiel die Phase des Wiederaufbaus in die Zeit des Zerfalls der Sowjetunion, sodass der Rekonstruierung nicht in der Geschwindigkeit voranschritt, wie erhofft und erforderlich. Viele Einwohner lebten jahrelang in Containern, die zum Teil heute, mehr als 25 Jahre später in der Stadt noch Verwendung finden.
Gyumri scheint den Schock überwunden, auch wenn es dort immer noch ein wenig beschaulich zu geht und man eher den Charakter einer Kleinstadt vorfindet, als den der zweitgrößten Metropole des Landes. Dass der Wiederaufbau letztendlich doch vorangetrieben wurde, war zahlreichen ausländischen Hilfsorganisationen zu verdanken, die ins Land kamen und mithalfen die Stadt von den Trümmern zu befreien, wie z.B. die Österreicher, die ein ganzes Viertel mit Wohnhäusern, Kindergarten, Schule und einer Kirche mit Spenden aufbauten. In diesem Zusammenhang muss auch Armeniens Held der Neuzeit, der französische Chansonnier Charles Aznavours erwähnt werden. Er ist ein sogenannter Diaspora-Armenier, dessen Vorfahren vor dem Völkermord ins Ausland geflohen waren. Weil er nach dem Erdbeben und während der Blockade mehrere Flugzeuge mit Kerosin gechartert hatte und ermöglichte, dass seine Landsleute wenigstens etwas Brennstoff zum Kochen hatten, wird er in seiner alten Heimat sehr verehrt. In der Tat sind es auch heute noch vor allem die Diaspora-Armenier – insgesamt leben 9 Mio. in der ganzen Welt verstreut – die durch alte Heimatverbundenheit, verursacht vor allem durch das Genozid-Trauma der Armenier, ihre Landsleute in der alten Heimat finanziell unterstützen.
Naira kommt sehr schnell und immer wieder auf den Völkermord zu sprechen, der sich 2015 zum 100. Mal jährt. Überall im Lande weisen Symbole und Veranstaltungen auf den Genozid hin. 2 Mio. Armenier wurden aus Westarmenien, dem heutigen Ostanatolien, vertrieben und in die syrische Wüste deportiert. Es gelang ihnen teilweise die Flucht nach Ostarmenien, dem heutigen Staat Armenien. Dass die Türkei den Völkermord immer noch negiert, ist einer der Gründe, warum die Grenzen zum Nachbarn geschlossen sind; aufgrund des ungelösten Konflikts um Bergkarabach, auch die Grenzen nach Aserbeidschan. Nur die Straßen in den Süden, in den Iran, der einer der wichtigsten Handelspartner des Landes ist, sind passierbar, sowie die Grenzen nach Georgien, mit dem Armenien immer ein wenig im Wettstreit liegt, vor allem, wenn es um historische Superlative geht. Fast könnte man den Verdacht haben, dass wir es hier mit einem unerschrockenen Völkchen zu tun haben, das gerne auch vor den Goliaths in der Nachbarschaft nicht den Kopf in den Sand steckt.
Aghasi, der Leiter der armenischen Agentur hat Naira und David beauftragt, uns in ein nettes Fischlokal am Rande der Stadt einzuladen und in der Tat erwartet uns ein tolles Essen mit leckeren Vorspeisen, zwei verschieden zubereiteten Fischarten und jeder Menge armenischem Bier. Das in der Stadt selbst gebraute Gyumri stellt sich als besonders gut trinkbar heraus und soll auch während der gesamten Armenien-Reise unser Favorit bleiben.
Natürlich besichtigen wir auch noch ein paar Hotels in der Stadt, u.a. das kleine nette, aber internationale Hotel Nane sowie das Hotel Berlin, das vom Deutschen Roten Kreuz aus Berlin erbaut wurde. Für den Bau wurden die Container verwendet, die die Helfer zunächst nach dem Erdbeben bewohnten. Alle Einnahmen aus dem Hotel kommen der benachbarten Mutter-Kind-Poliklinik zu Gute. Wer in Gyumri übernachten und dabei Gutes tun will, ist in dem Haus, das sehr gut geführt wird, bestens aufgehoben.
Nur wenige Kilometer von Gyumri entfernt liegt Marmashen, die erste einer Vielzahl von Kirchen, die uns auf dem Weg durch Armenien begegnen wird – nur ein Teil der archäologischen Schätze, die Armenien aufweist. Am schönsten kann man das Kloster Marmashen erleben, wenn man sich zu Fuß auf den Weg hinunter zu dem malerisch gelegenen Ort macht. Die meisten Kirchen sind zwischen dem 4. und 12. Jahrhundert entstanden. Die Kirchenbaukunst erlebte vor allem ab dem 9. Jahrhundert ihre wahre Blütezeit und kann in ihrer Vielfalt, aber dennoch in einer meisterlichen Symmetrie, vielerorts bewundert werden. Erstmals sehen wir auch einen Kreuzstein, der den Weg zur Kirche säumt. In der Tradition der Armenischen Kirche ist dies ein kunstvoll behauener Gedächtnisstein mit einem Reliefkreuz in der Mitte, das von geometrischen und pflanzlichen Motiven umgeben ist. Kreuzsteine können bis ins 5. Jahrhundert zurückverfolgt werden.
Die Armenische Kirche, die älteste christliche Staatsreligion, prägt das Land
Das Christentum wurde in Armenien im Jahr 301 zur Staatsreligion erklärt. In diesem Jahr bekehrte Grigor der Erleuchter König Trdat III. zum Christentum. Die Armenische Kirche ist damit die älteste christliche Staatsreligion, als solche entstanden, noch bevor Kaiser Konstantin das Christentum im Römischen Reich anerkannte. In Armenien gibt es keine Kirchensteuer und daher finanziert sich die Kirche durch Spenden und durch den Verkauf von Kerzen. Auch hier sind es vor allem wieder die Diaspora-Armenier, die hilfreich unterstützen, spenden und ihrer Heimat gedenken. Beeindruckend ist es, die Bedeutung der Kirche bei den Menschen zu erleben; vor allem die jungen Leute schienen eine tiefe Religiosität zu praktizieren.
Auf dem Weg nach Eriwan liegt die Priesterschule Harichavank. Dort leben die jungen Priesterseminaristen, die sich auf ihre Laufbahn als Priester vorbereiten. Denn anders als in der katholischen Kirche, wird den Priestern nicht abverlangt, zölibatär zu leben. Wenn sie sich für die Ehe entscheiden, müssen sie allerdings vor der Priesterweihe bereits verheiratet sein.
Eine herrliche Auflockerung zwischen all unseren Besichtigungen stellen die Ausführungen unserer hochintelligenten, aber dennoch so menschlichen Reiseleiterin Naira dar. Keine einzige unserer Fragen bleibt unbeantwortet und gerne greift sie auch auf einen subtilen, feinen Humor zurück, den sie häufig nach Radio-Eriwan-Art gestaltet. So beginnen viele ihrer Antworten mit den Worten „Im Prinzip ja, aber…“. Der legendäre Sender Radio Eriwan wurde während der Sowjetzeit gegründet. Es gab im Programm eine Art Fragestunde, in der auch politisch prekäre Fragen beantwortet wurden, wie z.B. Frage: „Kann der Sozialismus in ganz Europa Einzug halten? Antwort: „Im Prinzip ja, aber es wäre schade um Europa“.
Die Kathedrale von Etschmiadsin, das etwa 20 km westlich von Eriwan liegt, wird als der älteste christliche Ort der Armenier verehrt und stellt das religiöse Zentrum des Landes dar. Sie wird als erste von einem Staat erbaute christliche Kirche angesehen und war zu Zeiten der Sowjetunion älteste Kirche auf deren Territorium. Die Kathedrale ist eines der bedeutendsten Baudenkmäler Armeniens. Etschmiadsin ist auch der Sitz des Katholikos, des geistlichen Oberhauptes der Armenischen Apostolischen Kirche. Die Stadt besitzt neben der Kathedrale zwei weitere bekannte Kirchen, St. Gajane und St. Hripsime. Die Kirchen gelten als wichtiges Beispiel für die frühe armenische Kirchenbaukunst. Der gesamte Klosterkomplex ist UNESCO-Weltkulturerbe und beherbergt außerdem die Schatzkammer mit drei der wichtigsten Reliquien der armenisch-apostolischen Kirche, u.a. der Spitze des Stabes von Apostel Thaddäus und ein Holzstück der Arche Noah. Ein weiteres Highlight von Etschmiadsin stellt die Rundkirche Zvartnots dar, die zum geschützten UNESCO-Ensemble gehört, und selbst als Ruine einen beeindruckenden Anblick bietet.
Eriwan – eine quirlige Stadt der Gegensätze
Als wir in dem internationalen Best Western Hotel Congress in Eriwan ankommen, werden wir bereits von Aghasi, dem Agenturleiter von Arcus Tours erwartet, der uns an dem Abend zum Essen einladen will. Aber zuvor gilt es noch drei Hotels zu besichtigen. Das Restaurant, das er ausgewählt hat, wird von vier Fernsehköchen Armeniens betrieben. Einen der prominenten Herrn lernen wir kennen, als er uns höchstpersönlich die Gerichte annonciert. Außerdem werden wir mit Georgischer Musik zum Abendessen unterhalten, u.a. kommt das Duduk zum Einsatz, das armenische Nationalinstrument, das aus Aprikosenholz hergestellt wird und auch als armenische Flöte bezeichnet wird. Tragisch schön klingen diese Weisen, die von Liebe, Trauer und Schicksal erzählen und den Schwermut, der auch heute manchmal noch über dem schicksalsgebeutelten Land liegt, so ergreifend zum Ausdruck bringt. Das versteht man auch, ohne die armenische Sprache zu beherrschen.
Im Zentrum von Eriwan tobt am Abend das Leben. Diese Stadt ist unfassbar. Vor 100 Jahren lebten hier gerade mal 12.000 Menschen, heute sind es 1,2 Millionen. Da stellt sich die Frage, ob eine Großstadt so einen Wachstum überhaupt verkraften kann. Einheimische behaupten, dass sie das keinesfalls täte. Aber der Besucher, der nur ein paar Abende hier verbringt, hat einen völlig anderen Eindruck: Mondäne Geschäfte, tolle Architektur, Menschen in den vollen Straßenrestaurants, von einer Konzertbühne im Stadtpark dröhnt laute Musik – Keine Spur von der Armut, die wir auf dem Lande wahrgenommen hatten. Hier ist das andere Armenien, vielleicht auch nur das Armenien, das gerne moderner, westlicher und angepasster wäre. Am schönsten Gebäude der Stadt, der Oper, zieht am Abend ein Fontänenbrunnen Touristen und Einheimische gleichermaßen an, wenn zur klassischen Musik die Wasserspiele rhythmisch in den Himmel schnellen. Eine entspannende Wirkung, fast schon Urlaubsstimmung kommt auch auf, wenn man aus dem geschäftigen Treiben wieder in Richtung des Hotel Congress flaniert. Nette Cafés und Bars in einem langgestreckten Park flankieren ein Wasserbecken mit 2.700 Fontänen, die im Sommer ein grandioses Schauspiel bieten. Auch wenn die Verständigung nicht immer einfach ist, da auch die Speisekarten häufig nur in Armenisch und Russisch vorhanden sind, beides gleichsam schwierig in Wort und Schrift für den Durchschnittsreisenden, so bildet eine Einkehr in einer dieser Bars doch einen gelungenen Ausklang eines beeindruckenden, von Historie überquellenden Tages.
Weitere Höhepunkte Armeniens können leicht von Eriwan in einem Tagesausflug erreicht werden. Nur etwa 30 km liegt der Sonnentempel Garni außerhalb der Stadt, auf der Hochebene oberhalb der Schlucht des Azat, der den Grenzfluss zwischen dem persischen und dem griechisch-römischen Reich bildete. Nirgendwo in Armenien sind die Basaltblöcke, die die Natur geschaffen hat, höher und eindrucksvoller als hier in Garni. Der Sonnentempel ragt beinahe unwirklich in der ungewöhnlichen Landschaft empor, geradezu fremdartig mutet der Bau im hellenistischen Stil in dieser Umgebung an.
Durch atemberaubende Landschaft zum Sonnentempel Garni
Auf dem Weg dorthin wird die Landschaft immer atemberaubender. Ein absolutes Muss ist ein Halt am sogenannten Steinernen Bogen, der zu Ehren des Nationaldichters Jeghische Tsch’arents‘ erbaut wurde und an Tagen mit klarer Sicht einen unvergesslichen Blick auf die schneebedeckten Gipfel des großen und kleinen Ararats bietet. Die Landschaft, die vor der Hochebene dieser erhabenen Gipfel liegt, ist unbeschreiblich. Auf dem Weg zu dem kleinen Aussichtsplateau bemerken wir zwei armenische Paare, die wir zunächst für Liebespärchen halten, die das Alleinsein suchen. Und plötzlich kommen sie herauf zur Plattform und stimmen einen Gesang an, bei dem man fast vergisst weiter zu atmen. Was für Stimmen – vor dieser Kulisse! Verstärkt wird dieses Gänsehauterlebnis von der für das Land so bezeichnenden Tatsache, dass ausgerechnet der heilige Berg der Armenier, der Ararat, hinter der Grenze, auf türkischem Territorium, liegt. Am Ararat ist die Legende von Noah beheimatet, der nach der Sintflut mit der Arche auf dem Berg landete und von hier die Neubesiedlung der Erde unternahm.
Das beeindruckende Höhlenkloster Gehghard liegt unweit am Eingang des Oberen Azat-Tales. Es gehört seit 2000 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Die Gründung des Klosters im 4. Jahrhundert n. Chr. am Ort einer heidnischen Quelle wird dem hl. Gregor zugeschrieben. Der ungekürzte Name Geghardavank bedeutet „Kloster zur Heiligen Lanze“. Damit ist die Reliquie gemeint, die der Apostel Thaddäus ins Land gebracht haben soll und die wir bereits in der Schatzkammer in Etschmiadsin bewundern konnten. Charakteristisch für das Kloster sind die teilweise in den Fels gehauenen Räume bzw. die Nutzung von Höhlen. Der Lichteinfall in den Kirchen der Anlage ist so beeindruckend, dass man glauben könnte, dass der Heilige Geist gerade über einen gekommen ist.
Wir konnten allerdings nicht nach Eriwan zurückkehren, ohne bei Sergej einen Halt gemacht zu haben. Der Armenier hatte auf seinem Grundstück eine kleine Bäckerei eingerichtet, in der die traditionelle Brotbackkunst gezeigt wird. Im November 2014 entschied die UNESCO das traditionelle armenische Lavas-Brot offiziell zum immateriellen Weltkulturerbe zu erklären – das ist einzigartig. Doch Sergej bäckt nicht nur Lavas, er brennt auch eigenen Schnaps und betreibt ein Gartenlokal, in dem die Gäste mit dem frischen Brot, Käse, Kräuter und Lammkebab sowie Kartoffeln in malerischer Atmosphäre verwöhnt werden. Abgesehen davon schmeckt sein Calvados exzellent und muss sich hinter manchem Destillat aus der Normandie nicht verstecken.
Unser aus beruflichen Gründen doch sehr dichtes Programm lässt wenig Zeit für eigene Erkundungen von Eriwan, die die Stadt durchaus verdient hätte. Aber einen Höhepunkt wollen wir uns nicht entgehen lassen, nämlich den Matendaran, die Bibliothek und Forschungsstätte, in der rund 25.000 Schriften, 14.000 davon handschriftlich und meist in armenischer Sprache aufbewahrt werden. Hier ruht sozusagen das höchste Kulturgut der Armenier und man hat den Eindruck, dass jedes ausgestellte Buch für sich ein Wunderwerk darstellt. Ein Kulturgut ganz anderer Art ist der armenische Cognac, der auf eine mehr als 100jährige Tradition zurück geht und weltweit Beachtung findet. Cognac gehört zu den wichtigsten Ausfuhrprodukten der Armenier, denn aufgrund der Temperaturen wird der Wein zu süß und schwer und so werden die Trauben hauptsächlich für das Brennen von Weinbrand verwendet. Neben kleinen Produktionsstätten kann auch die älteste und bekannteste Cognac-Fabrik Ararat besichtigt werden. Dort werden auch interessante Verkostungen durchgeführt. Ararat gehört seit einigen Jahren zum französischen Konzern Pernod. Wie nah Moderne, Antike und die noch gar nicht so lange vergangene Sowjetzeit zusammenliegen, kann nirgendwo in Armenien deutlicher gemacht werden, als an einem Tag in Eriwan: Garni und Gehghard am Morgen, die Innenstadt mit westlichen Einflüssen am Nachmittag und am Abend in angenehmer Distanz die Silhouette der Plattenbauten aus der Sowjetzeit am Stadtrand beim Blick vom Hotelzimmerbalkon – eine Stadt der Gegensätze.
Die weiteren Tage in Armenien wird uns Hrash Stepanyan an unsere Seite gestellt. Er gilt als einer der erfahrensten Reiseleiter in Armenien und weiß eigentlich alles über seine Heimat. Dadurch, dass er sehr häufig Fachstudienreisen begleitet, selbst an Ausgrabungen teilnimmt, Fachbücher zu diversen Themen übersetzt und sich wohl auch sonst mit allem beschäftigt, was sein Heimatland so besonders macht, ist er eine Bereicherung für jede Reise durch das Land.
Der fantastische Süden des Landes bis nach Goris
In seiner Begleitung besichtigten wir zuerst Dvin, das auf der Anwärterliste für die UNESCO steht. Aber nachdem dort die Ausgrabungen still stehen und eigentlich nur ein eingezäuntes Trümmerfeld zu sehen ist, scheint sich das Grabungsgelände für einen Besuch mit der Gruppe nicht anzubieten. Danach steht Khor Virap und anschließend Noravank auf dem Programm, das zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Armeniens zählt. Das „neue Kloster“ ist unter etlichen in Traumlage gebauten armenischen Gebirgskirchen, eine der schönsten. Architekt Momik schuf im 13. Jahrhundert ein Meisterwerk sakraler Architektur.
Gute Hotels in Armenien, die für deutsche Touristen tauglich sind, zu finden, ist in den Städten relativ einfach, wenngleich die Preise fast unser Niveau haben. Schwieriger wird es auf dem Lande und so hängt die Planung von Tagesetappen häufig auch von der Verfügbarkeit von akzeptablen Unterkünften ab. Wir folgen daher gerne dem Tipp, auch wenn dies zeitliche Einbußen darstellt, dass sich in der Nähe von Hermon eine Hotelanlage in ländlicher Struktur befindet, von der man Jeeptouren zu den Felsmalereien im Hochgebirge unternehmen kann, die laut Hrash eine Sensation darstellen. Was die Bilder so einzigartig macht, ist nicht nur ihre hohe Anzahl, die über mehrere Jahrhunderte entstanden sein muss. Die 4000 Jahre alten Felsmalereien seien sowohl gestalterisch wie auch handwerklich gekonnt in Szene gesetzt und gut erhalten. In den nächsten zehn Jahren wird eine Aufnahme der Felszeichnungen in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes angestrebt. Am Abend erzählt Hrash, dass dort in der Nähe eben erst auch zwei Drachensteine von Hirten gefunden worden waren, die ebenfalls eine archäologische Sensation darstellen, da in dieser Gegend nie ähnliche Funde gemacht wurden. Die Bedeutung der Stelen, die als Drachensteine bezeichnet werden, geben den Archäologen heute noch Rätsel auf.
Durch eine beeindruckend schöne Landschaft, die sich alle zehn Minuten ändert, fahren wir immer weiter Richtung Süden. Wenn man diese Vielfalt erfährt, hat man keine Zweifel mehr an der Tatsache, dass Armenien eine durchschnittliche Höhe von 1.800 m über dem Meeresspiegel hat und sich in diesem Land 9 von 12 Klimazonen wiederfinden.
Nach dem Vorotan-Pass in mehr als 2.300 m Höhe, passiert man einige Stauseen und erreicht Zorakhar. Aufgereiht, wie in Carnac und Stonehenge erblicken wir Steinkreise, über deren Herkunft man nur spekuliert. Die gängigste Theorie ist die, dass sich hier einmal eine Sternwarte befunden hat, aufgrund der Löcher in den Steinen. Hrash zweifelt dies an, erzählt uns von anderen Hypothesen und Spekulationen, aber Genaues wissen weder er noch die Wissenschaftler. Die Landschaft um den Steinkreis ist phantastisch mit Wiesen und Weideland von einem satten Grün, das sich in den nächsten Wochen wohl in ein ebenfalls sehr attraktives Ocker verwandeln wird. Hrash verfügt über ein außerordentliches botanisches Wissen. Fast jede Pflanze, auch alle 120 endemischen Arten, die in Armenien vorkommen, sind ihm bekannt. So entdecken wir in Zorakhar nicht nur Steinkreise, sondern auch uns völlig unbekannte Iris-Arten.
Einen kurzen Stopp bauen wir auch noch in einem kleinen Lokal ein, wo es laut Hrash ausgezeichnetes Essen gibt. Am Fluss hat der Wirt, der uns sehr herzlich begrüßt und sofort zu einem Maulbeerschnaps einlädt, Pavillons gebaut, in denen er Gäste bewirtet. Angeblich schauen in Armenien die Einheimischen immer darauf, wo die Touristen zum Essen gehen, weil es dort besonders gut ist – verkehrte Welt. Überall auf der Welt ist es genau andersrum.
Am Abend erreichen wir Goris, das wunderschön in einem Talkessel liegt und von einem deutschen Stadtplaner in der heutigen Form angelegt wurde, nachdem die Bevölkerung ihre Felswohnungen aufgegeben hatte. Unser heutiges Hotel Mirhav, wurde von einem Arzt gebaut, der lange Zeit in Deutschland praktiziert hatte. Ein hübsches, einfaches Haus mit einem tollen Wohlfühlcharakter und Blick auf die umliegende Bergwelt. Zum Abendessen gibt es eine armenische Spezialität: Gekochtes Rindfleisch mit Kartoffeln und Gemüse. Kartoffeln in jeglicher Form dürfen bei keiner warmen Mahlzeit fehlen – Kartoffeln sind Gemüse für die Armenier. Die Vorspeisen sind wie immer lecker – Salate in vielen Varianten, Käse, Brot. Das Essen wird von einer Flasche köstlichem armenischem Wein begleitet – nicht alle Weine sind süß und schwer. Und zum Abschluss probieren wir natürlich noch die ganzen Obstbrände aus der Region – Aprikose, Kornel-Kirsche und Maulbeere. Nun ist die Zeit in Armenien doch noch fast wie Urlaub.
In Goris sind die alten Felsenwohnungen am Stadtrand zu sehen – in manch einem werden hier wohl Erinnerungen an Kappadokien wach – eine faszinierende Szenerie. Von hier, bzw. von Sisian, einer kleinen Stadt bei Zorakhar kann man ebenfalls mit dem Jeep hinauf ins Hochgebirge und Felszeichnungen betrachten. Für die einen sind dies archäologische Einzigartigkeiten, für die anderen aber auch spirituelle Kraftorte. Allerdings sind die Zeichnungen hier im Süden nur von Juli bis September erreichbar, da zuvor die Straße aufgrund von Schnee nicht passierbar ist.
Viele Besucher in Armenien nutzen Goris auch als Ausgangort für einen Besuch des Kloster Tatev, das man über die Vorotan-Schlucht erreicht. Den ersten Halt machen wir an einem Felsvorsprung mit beeindruckendem Blick in die tiefen Felsschluchten. Natürlich gibt es auch für diesen faszinierenden Ort eine Legende – wie vielerorts im Lande. Aber wäre es nicht so, dann müsste man eine Sage für diese einzigartige Landschaft erfinden. Am Wegesrand zu einem kleinen Aussichtspavillon finden sich jede Menge Blühendes und Mohnblumen – überall bahnt sich die bunte Flora einen Weg durch die gebirgigen Schluchten. Ein Ductum, eine Blume, die Gase entwickelt und bei starker Sonneneinstrahlung zu brennen beginnt, steht am Wegesrand. Man vermutet, dass der brennende Dornbusch in der Bibel ein Ductum war, der sich selbst entzündete.
Nach einem weiteren Stopp an der Teufelsbrücke und einem Halt oberhalb des Tatev-Klosters, wo man einen wunderbaren Überblick über die ganze Anlage hat, widmen wir dem Kloster, das ein weiteres UNESCO-Weltkulturerbe Armeniens ist, unsere Aufmerksamkeit. Das burgartig angelegte Kloster Tatev stammt ursprünglich aus dem 9. Jahrhundert. Es wurde am Ort eines noch älteren Heiligtums erbaut und war damals schon Bischofssitz. Ohne Zweifel zählt Tatev zu den Hauptsehenswürdigkeiten des Landes – nicht zuletzt aber auch wegen der spektakulären Lage. Während wir den Hinweg über zahlreiche Serpentinen mit dem Wagen zurücklegen, entscheiden wir uns beim Rückweg für die Seilbahn, die mit 5.750 Meter als eine der längsten Seilbahnen der Welt gilt. In maximal 320 Meter schwebt man in einer 25 Personen fassenden Gondel in 12 Minuten über die Schlucht zurück zur Talstation – schwindelerregende Ausblicke inklusive. Die Bahn wurde 2010 in einer österreichisch-schweizerischen Kooperation u.a. unter Mitarbeit der Firma Doppelmayer in einer Privatinitiative eines Armeniers, der in Russland zu Reichtum gelangt war, gebaut.
Zu einem späten Mittagessen erwartet uns Cognacbauer Norik in Yeghegnadzor. Eigentlich ist Norik Geograph und baut nun Wein an und bietet seit Jahren in seinem Haus Essen für Gruppen an. Die ausgesprochen sympathische Familie verfügt über ausgezeichnete Gastgebereigenschaften, abgesehen davon, dass das Essen köstlich schmeckt. So viel hatten wir im Vorfeld über die legendären Trinksprüche im Kaukasus gehört und endlich gibt uns Norik die Gelegenheit, einem beizuwohnen. Er ist gnädig und spricht nur einen Toast mit zwei Sätzen aus – böse Zungen behaupten, dass zu später Stunde ein Trinkspruch im Kaukasus schon mal eine Stunde dauern kann.
Nach der Besichtigung des Hotel Arpa, das auf 910 m in Yeghegandzor liegt und eine gute Alternative zum Übernachten bietet, klettert unser Van wieder hinauf auf 2.450 m Höhe zum Selimpass. Muss man noch erwähnen, dass einem der Ausblick, die Flora und Fauna fast den Atem raubt?
Inzwischen ist es sehr später Nachmittag, aber unser Tagespensum ist noch lange nicht absolviert. Es gibt so vieles einzigartiges und wie sollen wir sonst entscheiden, was für die deutschen Gäste etwas ganz Besonderes ist, wenn wir uns nicht von allem selbst ein Bild machen? Das Durchhalten ist keine Pflicht, vielmehr geht uns manchmal einfach das Tageslicht aus und zwingt uns zum Feierabend. In Nordazuz machen wir am Friedhof Halt und treffen dort auf ein bizarres Bild. Mitten im Friedhof, auf dem sich viele verwitterte Kreuzsteine finden, sitzen Hirten auf den Grabsteinen und die Schafe grasen um sie herum. Laut Hrash leben die Menschen in dieser Gegend mit ihren Verstorbenen, als wären sie noch in ihrer Mitte. Überhaupt wirkt diese Gegend von Armenien ein wenig anders als die anderen Regionen: Schmucke Häuser, gepflegtes Ackerland am Haus und jede Menge blühende Obstbäume. Die Menschen sind emsig während der kurzen Sommerzeit, scheinen aber bekannt für die Höhe ihres Wodkaverbrauchs im Winter zu sein. Der Ausgleich sei ihnen gegönnt.
Der Sewansee, den die Einheimischen Meer nennen
Danach geht es entlang des Sewansees, der in der frühen Sowjetzeit um einen großen Teil seiner Fläche hätte verringert werden sollen, um Anbaufläche und Strände zu schaffen. Dadurch sank der Wasserspiegel und dies hatte verheerende Auswirkungen auf den Fischbestand. Der See hat 28 Zuflüsse und nur einen Abfluss, der ihm aber dennoch mehr Wasser entzieht, als zufließt. Inzwischen hat man den Irrtum eingesehen und hat mit künstlichen Tunnels für weiteren Wasserzufluss gesorgt, sodass der Spiegel langsam wieder angehoben wird. Am Straßenrand sitzen überall Fischer, die ihre geräucherten Fische – Renken und Regenbogenforellen – aber auch frischen Fisch anbieten. Zum Sewankloster geht es ein paar schweißtreibende Treppen hinauf, aber allein der Ausblick lohnt. Mehr gibt es für uns auch nicht mehr zu sehen, denn um diese Uhrzeit hat das Kloster bereits geschlossen. Aber wir freuen uns über die kühle Abendluft und über den Blick über den See. Gerade landet am Steg das einzige Ausflugsboot an und armenische Touristen kommen gut gelaunt an Land zurück. Wir kosten noch in einem Lokal am See den köstlichen Sewan-Fisch. Schade, dass sich aufgrund des späten Mittagessens der Hunger so in Grenzen hält. Das Best Western Paradise Hotel in Dilijan ist heute das Ziel für den Abend. Dilijan, das in der sowjetischen Zeit zu einem der führenden Kurorte des Landes ausgebaut wurde, liegt auf 1500 m Höhe umgeben von Bergen im 2002 gegründeten Dilijan-Nationalpark. Einheimische nennen es wegen dieser idyllischen Lage daher auch die „Kleine Schweiz“ Armeniens. Dilijan ist reich an Mineralquellen, und dem „Dilijan“-Mineralwasser sagt man heilfördernde Wirkung nach.
Kloster Goschavank und Kloster Haghartsin, beide sehenswert, architektonisch und kirchengeschichtlich interessant: Vor einigen Jahren hatte ein Emir aus den Vereinigten Arabischen Emiraten gemeinsam mit einem armenischen Offiziellen das Kloster Haghartsin besucht. Eine armenische Touristin aus dem Libanon hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass ein Moslem, der eine christliche Kirche besucht, der Kirche etwas schenken soll. Daraufhin entschloss er sich zu einer Spende von 5 Mio. Dollar, mit der das Kloster wieder restauriert werden sollte. Doch die Korruption im Lande macht solche Spenden nicht einfach: Man brauchte drei Jahre, bis das Geld verteilt war. Jeder stellte Ansprüche, auch der Katholikos, der sich nebenan eine sehr pompöse Residenz gebaut hat. Jetzt ist aber Baustopp in dem feudalen Heim, weil er sich offensichtlich nicht ausreichend Geld abzweigen konnte und ihm die Mittel ausgegangen sind. Die Renovierung der Klosteranlage hat auch einige Kritiker auf den Plan gerufen, da der neu verbaute Travertin eine wesentlich hellere Farbe aufweist, wie der alte, aber im Großen und Ganzen ist die Rekonstruktion des Klosters gut gelungen. Besonders schön ist das Refektorium, in dem eine kleine Fotoausstellung zur Renovierung der Klosteranlage Platz gefunden hat.
Auf dem Weg in Dzoraget passiert man zwei Molokane-Dörfer. Die Molokaner sind eine russische religiöse Minderheit, die unter Katharina der Zweiten umgesiedelt wurde, als sehr fleißig gilt, Obst anbaut und in typischen Straßendörfern lebt. Einmal mehr machen wir noch einen kleinen Umweg, um ein ganz besonderes Hotel aufzusuchen, nämlich das Hotel Tufenkian in Dzoraget. James Tufenkian ist ein Paradebeispiel für einen Diaspora-Armenier. Seine Familie emigrierte Ende des 19. Jahrhunderts nach Amerika. Er fühlt sich jedoch der Heimat seiner Vorfahren so verbunden, dass er die Tufenkian Stiftung gründete. Unter anderem betreibt diese Stiftung eine Boutique-Hotelkette mit im landestypischen Stil gestalteten Häusern.
Bevor wir zu unserem Kloster-Endspurt antreten, stärken wir uns noch in Alavari in einem herrlich angelegten Restaurant. Der Besitzer hatte in seinen Berg hinter dem Haupthaus aus Holz Pavillons angelegt, wo er nun Gäste bewirtete. In dieser Gegend ist gegrilltes Schweinefleisch eine Spezialität.
Gestärkt besuchen wir im Verlauf des weiteren Nachmittag noch die Klöster Sanahin, Haghpat und Akhtala, das neben einem weiteren Kloster das einzige Kloster Armeniens ist, das innen Wandmalereien aufweist. Eine nette Küsterin, die sich um den Kerzenverkauf kümmert, erklärt uns mit ihrem Schuldeutsch die Malereien.
Anschließend geht es weiter zur Grenze. Wir sind spät dran. Hrash steigt vor der georgischen Grenzkontrolle aus und verabschiedet sich. David bringt uns noch ein paar Meter weiter über die georgische Grenze und dann ist das Abenteuer Armenien vorbei.
Armenien verwirrt und bezaubert
„Armenien verwirrt“ – Das hatte ich im Vorfeld unserer Reise in einem Zeitungsartikel gelesen. „Armenien verwirrt“ – was soll das denn, dachte ich mir damals. „Armenien verwirrt und bezaubert“ – so würde ich es heute bezeichnen und damit dem Autor des Zeitungsartikels in weiten Stücken zustimmen. Subtil, ohne dass es der Reisende bemerkt, verzaubert Armenien und verwirrt dadurch, denn das erwartet man nicht von einem Land, das viele Schicksalsschläge, Eroberungen und Massaker hinnehmen musste, heute noch korrupt ist und wirtschaftlich nicht zuletzt aufgrund von schwierigen nachbarschaftlichen Verhältnissen, nicht so recht auf die Beine kommen kann. Kann so ein Land tatsächlich verzaubern? Es kann. Nicht nur unter archäologischen, botanischen und kunstgeschichtlichen Aspekten. Armenien beschäftigt einen so nachhaltig, allein dadurch, dass man sich intensiv damit auseinandersetzen will, warum es einen so tief im Inneren berührt und fasziniert.