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HALLIG HOOGE

Westerwarft auf Hallig Hooge

Reisetagebuch von der Hallig Hooge – Erlebnisse beim Projekt „Hand gegen Koje“

1. Bericht nach zwei Tagen auf Hallig Hooge

Liebe Freunde,
nicht nur in Anbetracht der tragischen Entwicklung der Wetterlage auf der Hallig Hooge habe ich mir gedacht, ich könnte doch die nun jahrelang unterbrochene Tradition fortsetzen, euch ab und zu ein paar Reiseerlebnisse per Mail zukommen zu lassen. Nun hält sich ja das Reisen hier in Grenzen, aber selbst nach ein paar Stunden auf der Hallig Hooge zeichnet sich ab, dass mein Aufenthalt doch die eine oder andere berichtenswerte Geschichte her gibt.

Die Anreise mit der Bundesbahn verlief mit einer nie dagewesenen Pünktlichkeit – wenigstens bei mir. Leider nicht bei 15 Schwaben, deren Zug Verspätung hatte, sie dadurch den Anschlusszug verpassten und nun mein Bus zum Fähranleger warten musste, bis sie in aller letzter Minute eintrafen. Beim Benachrichtigen der Fähre von dieser Verspätung hatte ich erstmals das Bedürfnis, dem Busfahrer zur Hand zu gehen, um das Verfahren zu beschleunigen und vor allem sicher zu stellen, dass die Nachricht auch wirklich den erreicht, der das Schiff steuerte. Aber ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt dann schon ums reibungslose und zügige Beladen des Busses mit dem schwäbischen Gepäck gekümmert, denn hier schien mir auch Handlungsbedarf. Gleichzeitig schoss mir hier – also noch lange bevor ich das nordfriesische Festland verlassen hatte – erstmals der Gedanke in den Kopf, dass hier die Welt einfach anders und langsamer funktioniert. Das zweite Mal, als mich dieser Geistesblitz traf, war etwa 15 Minuten später auf der Fähre, als ich mir ein Matjesbrötchen holte… Wenn mehr als fünf Gäste auf die gleiche Idee gekommen wären, hätte das die Kapazitäten des „Salon“-Personals erheblich gesprengt. Gut, auch den Gepäcktransport hätte man deutlich optimieren können, weil er derzeit einfach unlogisch abläuft und viel zu viel Personal bindet, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich mir schon vorgenommen, dass ich die nächste Zeit mal das Wort „optimieren“ aus meinem Sprachgebrauch streichen würde…

Landschaft auf der Hallig Hooge

Landschaft auf der Hallig Hooge

Wie verabredet, holte mich Robert am Schiff ab. Robert ist die Hafenmeister-Zwischenlösung, zwischen dem Ex-Hafenmeister und dem Hafenmeister in spe, und mein WG-Mitbewohner. Nach einer kurzen Hallig-Erläuterung ging es dann in unsere Wohnung, wo ich dann erfuhr, dass zu unserer WG derzeit auch noch der zukünftige Hafenmeister mit Frau, zwei Kindern und zwei Hunden, einer davon eine 80 kg schwere und 120 cm hohe Dogge, gehören. Auch gut. Aber irgendwie beschäftigt mich schon, warum meine Hand-gegen-Koje-Betreuerin, mir immer von einer 3-er-Frauen-WG geschrieben hat… Das schien ihr nämlich ganz ganz wichtig. Aber offensichtlich hat sie mich als psychisch so gefestigt eingestuft, dass sie mir dieses stellenweise überfüllte Auffanglager zutraute.

Die Wohnung ist ok. Drei Zimmer / Küche /Bad. Das Beste daran: Wir wohnen im Rathaus. Und da das Rathaus sowohl Gemeindehaus, Fremdenverkehrsamt, Krankenstation und Öffentliche Toilette in einem Haus vereint, muss ich nur die Treppe runter und bin schon an meinem Arbeitsplatz. Mein Zimmer ist allerdings sehr ungewöhnlich eingerichtet: Schmales Bett, kleiner Schrank, alter Fernseher und ein Sessel. Insgesamt hab ich drei Tische drin stehen – würde gerne zwei Beistelltische gegen einen Schreibtischstuhl eintauschen… Mal sehen, was ich übermorgen, wenn Familie Hafenmeister vorübergehend wieder abreist, aus ihrem Zimmer ergattern kann. Ruhiger wird es dann aber sicherlich auch nicht, denn morgen kommt Roberts Freund nebst einer Freundin und deren Hund. Natürlich wohnen sie auch bei uns. Und ab Samstag ist dann wieder der Hafenmeister da, aber diesmal ohne Frau, Kind und Hund und ab Donnerstag hoffentlich Ulrike, der ich jetzt ein Luftbett organisiert habe, damit sie unsere WG für ein verlängertes Wochenende komplettieren kann.

auf der Hanswarft

auf der Hanswarft

Robert ist nämlich bekennender Punkrock aus Potsdam (no hope, no future, no hope ist sein Lebensmotto – sehr sinnig, wenn so jemand auf den Halligen lebt) und ein Plaudertäschchen, wenn er nicht gerade einen gnadenlosen Hangover wie heute Morgen hat. Beim ersten Willkommensbier gestern in unserer Küche hat er mich extrem ins Herz geschlossen, sichtlich froh, dass er meine sonderbare Vorgängerin los war und jemanden zum Zuhören für seine durchaus interessante Lebensgeschichte gefunden hatte. Nach ein paar Schluck Bier wusste ich bereits von seiner Karriere als Hausbesetzer, subversivem Element und Waldorfschüler. Aber er ist ausgesprochen lustig. Vielleicht noch ein bisschen überengagiert, wenn er mir von seiner Lebenserfahrung was mitgeben will – aber da ich noch wenig Erfahrung mit Steinewerfen und Hausbesetzungen habe, bisher auch noch selten eingebuchtet wurde, bin ich ja dankbar, auch in dieser Richtung mal was mitzubekommen. Auf dem Weg in die T-Stube, wo wir am Abend noch ein Bier trinken wollten, sind wir dann auf Julia gestoßen. Sie macht gerade ein freiwilliges ökologisches Jahr bei der Schutzstation. Solche jungen Leute wie sie, gibt es hier jede Menge. Auch meine beiden Kolleginnen von Hand gegen Koje, die am Anleger arbeiten, sind total jung. Da entsteht natürlich eine ganz eigene Szene hier: jung, naturinteressiert, partyinteressiert und auch ein bisschen sehr verplant – liegt wahrscheinlich aber am guten Hallig-Gras. Bis sich die gestern bloß verabredet haben – da wäre man am liebsten dazwischen gegangen und hätte das für sie organisiert…

Im Laufe des Abends stieß dann noch der Ex-Hafenmeister und das zukünftige Hafenmeisterpaar zu uns. Von ersterem, seiner Frau und seiner Entscheidung auf die Hallig Hooge zu gehen, hatte ich schon im Internet gelesen. Er war jetzt drei Jahre hier. Nun ist die Ehe zu Ende  und nun geht er zurück. Sein Nachfolger, meine WG-Familie, ist  sehr optimistisch, was das Leben auf der Hallig anbelangt. Sie waren erst drei Mal ganz kurz hier auf der Hallig Hooge und siedeln nun komplett über. Das ganze Leben haben sie in Westfalen verbracht und jetzt ausgerechnet Hallig Hooge. Die Kinder gehen nun mit vier anderen Kindern in die Schule hier: Alle Klassen in einem Raum mit einem Lehrer. Ohne jemals hier wenigstens eine Woche Urlaub gemacht zu haben, sein Festlandleben aufgeben und hierher ziehen – meines Erachtens ziemlich mutig…

Wellness für Kühe auf Hooge

Wellness für Kühe auf Hooge

Irgendwie hat mich die Stimmung gestern Abend in der Kneipe an meine Erfahrungen mit Inselauswanderern auf Fuerteventura oder der Dominikanischen Republik erinnert. Die „Zugroisten“ rotten sich zusammen, werden nicht wirklich akzeptiert und dann gibts zwei Lager. Scheint hier ganz genauso zu sein. Die wirklichen Hooger schützen sich vor der Überfremdung durch Touristen und Aussteiger.
Heute Morgen nun Sturm und Regen. Die Schifffahrt ist zum Teil eingestellt worden. Ich hab versucht, einen ersten Erkundungsgang von unserer Hanswarft bis zur Kirchwarft zu machen. Aber es war heftig – auch mit Anorak, Regenmantel und Regenhose kaum machbar. Zum ersten Mal hab ich richtig kapiert, was der Ausdruck „der Regen peitscht einem ins Gesicht“ wirklich bedeutet. Aber selbst bei dem schlechten Wetter war erkennbar, wie interessant doch die Natur und der Aufbau der Hallig ist. Ich freu mich auf eine Wetterbesserung, die allerdings erst wirklich für Freitag eintreffen soll. Heute gegen 17.00 Uhr wird wohl der absolute Tiefpunkt des Tiefs erreicht werden.

Raus geh ich heute maximal noch, um was zu essen. Der Wind bläst einem wirklich die Haare vom Kopf – trotz Kapuze. Die Versorgung am Wochenende ist ja nicht einfach. Gut, dass ich ja kein Problem damit habe, zum Frühstück eine Bratheringsemmel zu verspeisen. Hab ich heute auch so gehandhabt… Die bekommt man hier ja immer.
Bin gespannt auf die Arbeit morgen. Kann mir einfach nicht vorstellen, dass hier irgendjemand Unterstützung braucht. Das Leben scheint so gemächlich… Und mir wurde schon von zugezogenen Einheimischen gesagt, als ich erzählt habe, was ich im richtigen Leben mache, dass meine Erfahrung hier dringend benötigt werden würde, aber man mir keine Hoffnung macht, dass man sie auch abruft. Es lebe der Renovierungsstau in Ferienwohnungen… – Der Blick durch die Brille des Gasts fehlt wohl völlig – sonst hätte sich ja auch in meinem Zimmer mal jemand gefragt, was ich mit drei Tischen ohne Stuhl mache… Und ich wüsste ja jetzt schon so vieles, was man verbessern könnte – dabei hab ich das Tourismusbüro noch nicht einmal betreten und nur die Infowand von außen gesehen. Wichtig fände ich z.B., dass man das Wochenprogramm auch tatsächlich von der richtigen Woche aushängt. Vielleicht war ja auch letzte Woche so viel zu tun, dass die Mitarbeiter das nicht auch noch geschafft haben. Gut, dass ich jetzt da bin und sie unterstütze!

Heute Abend geh ich mit Robert noch ins Kino, den prämierten Film „Die Nordsee von Oben“. Jawohl ihr habt richtig gelesen – ins Kino. Für uns hier auch wieder besonders bequem – das Kino ist nämlich im Untergeschoss unseres Hauses. Ihr merkt, wir wohnen centralissimo!
Die Halligen polarisieren – sie werden mich faszinieren, bzw. tun es jetzt schon. Aber sie werden mich nicht fesseln – das weiß ich jetzt auch schon. Allein der Wind und Regen sprechen dagegen… Ich mach mir jetzt erst mal eine Wärmflasche für meine eiskalten Füße.
So, nun schließe ich meine ersten Eindrücke für heute und melde mich wieder, wenn es Hallig-Neuigkeiten von der entschleunigten Sabine gibt.

Pferdekutschen auf der Hallig

Pferdekutschen auf der Hallig

2. Bericht nach 6 Tagen auf der Hallig Hooge

Moin meine Lieben,
komme gerade aus dem Seehund – Weißkohlpudding mit Lammfleisch gabs, eine Halligspezialität. Sehr lecker! Im Seehund war übrigens auch Herr Rach, der Restaurantretter im Einsatz. Allerdings liegen hier die Defizite wohl weniger in der Küche und den Räumlichkeiten begründet, sondern eher darin, dass sich die meisten Touristen in ihren Ferienwohnungen selbst verköstigen und die Gastfrequentation daher eher spärlich ist.
Tja, die Hallig Hooge – wo soll ich anfangen? Jede Stunde eine Offenbarung mehr. In jeglicher Hinsicht. Seit gestern Mittag hat der Regen aufgehört. Am Nachmittag hatten wir zwar noch Windstärke 8, aber Sonne. Einfach wunderschön! Heute war es wieder etwas durchwachsener, aber der Wind legt sich langsam und das ist gut so. Hätten wir nämlich noch einen Tag länger einen solchen Wind gehabt, wäre wohl Land unter gewesen – und das finde ich, muss nicht unbedingt schon an meinen ersten Aufenthaltstagen hier sein. Aber die Gefahr, die um diese Jahreszeit eher selten ist, ist gebannt. Und so hab ich inzwischen die gesamte Hallig erkundet, lediglich im Westen fehlen mir noch zwei Warften, aber da hatte ich bisher einfach zu viel Gegenwind. Das ist hier alles so besonders, dass man es kaum in Worte fassen kann – und auch wenn ich jeden Tag eine Wärmflasche brauche, trotz Friesengeist, bedauere ich keine Sekunde (bisher) diese zwei Wochen investiert zu haben, um das Leben am anderen Ende Deutschlands mitten im Wattenmeer kennen zu lernen.

Jetzt aber erst mal zu meiner Arbeit und das gibt sehr viel über die „Halliglüüd“ preis. Bei der Bewerbung für das Projekt ging es ja vor allem darum, was der Bewerber während seiner beiden Wochen hier einbringen kann und wie auch der Ort davon profitieren kann. Also hab ich brav meine Unterlagen ausgefüllt und bin ja aufgrund meiner Qualifikationen auch ausgewählt worden. Allerdings scheint das die Sachbearbeiterin für sich behalten zu haben… Gestern Morgen nun das Einführungsgespräch mit dem Büroleiter. Da ja so schrecklich viel hier zu tun ist und man kaum mal Luft holen kann, hatte er sich meine Unterlagen noch nicht ansehen können (…) und so hat er mich gefragt, was ich denn so vorzuweisen hätte. Ich habs kurz gemacht (ehrlich) und es hatte trotzdem eine sehr einschlagende Wirkung. Sofort wurde der Bürgermeister alarmiert, der lief etwa fünf Minuten später mit wehendem Anorak im Büro ein und umgehend wurde mit mir eine zweistündige Lagebesprechung durchgeführt. Er war schrecklich empört, dass er nichts davon wusste, dass er eine solche touristische Ausnahmeerscheinung auf seiner Hallig hatte und dass man ganz tolle Projekte hätte anleiern können, wenn irgendjemand davon gewusst hätte… Tja, kann man ja auch nicht verlangen, dass man mal die Unterlagen der „Auserwählten“ liest – sind ja alle zwei Wochen immerhin ganze drei. Jedenfalls hat er dann noch meine Internetseite studiert, alle wichtigen Entscheider angerufen (und das sind bei 107 Einwohner mindestens 50 bis 60) und dann scheint es hier eine ziemliche Aufruhr gegeben zu haben – sollte aber jetzt auch wieder nicht überbewertet werden, denn Aufruhr ist hier immer, sobald überhaupt etwas passiert.

Der Bürgermeister hat jedoch sofort erkannt, was er da für einen Mehrwert abschöpfen kann und zur Krönung meines Aufenthalts halte ich nächsten Donnerstag, zwei Tage vor meiner Abreise, einen Vortrag vor allen Vermietern zum Thema Servicequalität. Der wurde heute sofort anberaumt und an alle Haushalte und Personen, die im Tourismus arbeiten, verteilt – ist eh die gesamte Halligbevölkerung. Gut, dass ich noch einen Vortrag von den Allgäuer Bauernhofvermietern parat habe, den ich überarbeiten kann – Die Verhältnisse ähneln sich doch sehr. Zwei Drittel der Vermieter würden es vorziehen, wenn die Gäste das Geld einfach nur überweisen und gar nicht erst anreisen. Dann würden sie nämlich auch das sehr individuell zusammengestellte Baumarktmobiliar nicht so sehr abnutzen. Es sind wirklich erstaunliche Parallelen zwischen den Allgäuern und den Halliglüüd – auch bei der Anzahl der verwendeten Worte einem Touristen gegenüber. Man hat nun große Pläne mit mir: Supervision des Tourismusbüros, Ist-Analysen bei Vermietern, die sich freiwillig bereit erklären und neue Zielgruppenermittlung. Alles schön und recht – ist mir lieber als Bürgerbriefe zu falten (aber auch kein Problem – ist ja hier in ein paar Minuten passiert). Einen Haken hat die Sache allerdings. Die Hoogener – außer dem Bürgermeister – finden, dass eigentlich gar nicht mehr Touristen kommen sollten. Vor allem nicht außerhalb der vier Monate Saison. Da möchten sie es nämlich ein bisschen ruhiger angehen, weil ja der Sommer so stressig ist… Ein fürchterliches Dilemma – alle leben inzwischen vom Tourismus, aber leiden mögen sie die Touristen nicht so besonders und überhaupt war früher alles besser… Bin ja jetzt mal gespannt.
Dazu kommt leider noch, dass diese 107 Hoogener so zerstritten sind, wie man es sich kaum vorstellen kann. Jeder lauert und jeder neidet. Kein Vermieter gönnt dem anderen die Butter auf dem Brot. Ein Beispiel: Online-Verfügbarkeiten sind auf den Websites nicht aktuell, weil sonst ja der Nachbar wissen könnte, wie man gebucht ist. Unglaublich!

Galerie auf der Hanswarft

Galerie auf der Hanswarft

Das ist in unserer WG völlig anders. Wir teilen Brot, Bier, Wein und Friesengeist ohne jegliche Befindlichkeit. Bin stark am Überlegen, ob ich Robert nicht adoptieren soll, aber vermutlich geben ihn seine Eltern nicht her. Er ist echt die gute Seele unserer Wohnung und vermutlich, wenn er so weiter macht, auch der Hallig Hooge. Inzwischen muss ich ihn in seinen Hausmanntugenden schon einbremsen. Vorhin war er unterwegs und hat Bettzeug für Ulrike organisiert und erst als er farblich zu den Überzügen passende Spannbetttücher aufgetrieben hatte, gab er Ruhe. Vermutlich ist er der einzige, der jetzt schon von meinen Predigten zur gelebten Servicequalität infiziert ist und sehr wahrscheinlich wird er auch der einzige bleiben. Echt erstaunlich, wie gut unsere Wohngemeinschaft mit diesen unterschiedlichen Leuten funktioniert hat. Wir hatten auch mit Hafenmeisters in spe noch richtig Spaß und Robert trägt als ehemaliger Zimmermann auf der Walz und seinen Episoden aus seinem anarchischen Leben auch immer für Unterhaltung bei. Heute war nun Besetzungswechsel bei uns: Hafenmeisters sind mit Kinder und Hunden bis Samstag wieder abgereist, dafür sind Roberts Freunde eingezogen. Vorübergehend war gestern noch im Gespräch, dass ein russischer Filmstudent auch noch bei uns einzieht, aber wir standen nun absolut an der Grenze unserer Aufnahmekapazitäten und haben die Aufnahme verweigert – nicht zuletzt, weil wir ja eh schon mit Luftmatratzenbetten agieren. Als ich gestern angekündigt hatte, dass mich Ulrike ein paar Tage besucht, meinte mein „Chef“, dass sie dafür 10 Euro pro Tag aus Rücksicht auf die Privatvermieter nehmen müssten. Erst als ich argumentierte, dass ich dann aber gerne auch ein Bett für sie hätte und nicht nur ein privat geliehenes Luftbett, war man einsichtig. Da kennen die Halliglüüd nix…

Ich hoffe, es entsteht jetzt kein falscher Eindruck, aber genau deswegen wollte ich ja hier mitarbeiten und mich nicht einfach nur irgendwo einquartieren. Nach diesen 14 Tagen werde ich wissen, wie Halligleben funktioniert. Ich ahne es jetzt schon. Und all diese menschlichen Themen sind so weit weg, wenn man stundenlang läuft und diese faszinierende Landschaft sieht und die Tiere beobachtet. Bin zwar kein großer Vogelfan, aber hier hat man selbst mit den Vögeln interessante Erlebnisse – mich hat heute z.B. ein Vogel fast eine Stunde lang beim Laufen begleitet. Erst als ich mich ein paar Minuten in einen Strandkorb gesetzt hatte, hat er mich wohl verloren.

So, nun muss ich ins Bett. War gestern so spät und dann hatte auch noch mein Handy seinen Geist aufgegeben und ich hab noch ne Stunde versucht, es wieder in Gang zu bekommen. Mir brach förmlich der Angstschweiß aus: WLAN nur ganz ganz schwach, wenn der Wind aus einer bestimmten Richtung kommt, weil der Router nämlich außen angebracht ist und dann noch ein totes Handy! Das kann man in Myanmar oder auf Kuba ertragen – aber NICHT auf der Hallig Hooge…

3. Bericht nach 9 Tagen auf der Hallig Hooge

Moin meine Lieben,
melde mich mal wieder aus dem hohen Norden. War beschäftigt. Ulrike war vier Tage zu Besuch und hat meine „Isolationshaft“ gemildert und gestern waren wir auf Amrum – Ausflug in die weite Welt. So kam es mir wenigstens vor: Geschäfte, Cafés, Restaurants, nette Leute und ganz viel Hübsches in den Orten fürs Auge: nette Gärten, schöne Häuser, liebevoll gestaltete Auslagen. Man fährt nur eine halbe Stunde von der Hallig aus und ist in einer völlig anderen Welt. Auch landschaftlich mit den weiten Stränden und Dünen.

Meine Schreibpause hat auch damit zu tun, dass es nicht mehr so viel zu erzählen gibt. Man kommt ganz schnell in eine gewisse Routine rein, weil ja nichts passiert. Habe jetzt schon den Eindruck, dass ich ewig hier bin: Kenne fast jeden auf der Hallig und seine Geschichte dazu. Die Hallig hat man nun auch schon mehrfach abgelaufen und im Büro passiert ja auch nichts Großartiges. Unsere WG hat sich nun nach Ulrikes Abreise auf die Stamminsassen reduziert: Robert, der alter Hafenmeister; der neue Hafenmeister und ich. Mit Besuch ist in der kommenden Woche auch nicht zu rechnen. Eigentlich schade… Hätte nichts dagegen, wenn Robert noch ein paar Punks hier angeschleppt hätte oder Ulrike zu meiner mentalen Stabilisierung auch noch ein paar Tage länger geblieben wäre.

eine de rWarften auf der Hallig

eine der Warften auf der Hallig

Da mich ein Erlebnis mit einem „Gastgeber“ stark beschäftigt hat, möchte ich es euch beispielhaft erzählen: Der Besitzer eines Restaurants auf Hallig Hooge hatte vor einiger Zeit Unterstützung von den Restaurantrettern aus dem Fernsehen. Der Hallig-Adlige war schon zig Mal in den Medien – sowohl bei dem ZDF-Imagebericht, der in der letzten Zeit mehrfach ausgestrahlt wurde, dann auch weil seine Tochter,  sehr gut aus marketingtechnischer Sicht vermarktet wird. Es gab Fernsehberichte über sie als Täufling, als Schulkind, als Halligtracht-Trägerin etc. – Der Gstronom ist wirklich aus den Medien bekannt – vor allem den Leuten, die sich für die Halligen interessieren. Letzte Woche sitze ich mit etwa zehn weiteren Gästen in seinem Lokal. Wir werden von seinem griechischen Kellner bedient. Der Chef kommt ins Lokal, grüßt keinen einzigen Menschen und schlappt mit missmutigem Gesicht durch seinen Gastraum. Alle wissen, wer das ist und er findet es nicht einmal für nötig seine Gäste zu grüßen, geschweige denn zu fragen, ob es schmeckt – Das soll der sympathische Mann aus dem Fernsehen sein? Am Tag danach bin ich ihm beim Spaziergang mit seinem Hund wieder begegnet. Etwa zwei Meter, bevor wir aufeinander trafen, hat er seine Mütze tiefer ins Gesicht gezogen und den Blick gesenkt, nur damit er nicht grüßen muss. Ich würde die Empfehlung gegeben, dass man vielleicht einfach mal mit einfachen Grußfloskeln beginnen sollte, bevor man Schulungen zur Servicequalität macht, dann braucht man auch keinen Restaurantretter mehr, denn dann kommen die Gäste eventuell von ganz allein – gibt ja eh nur noch ein weiteres Restaurant. Und das ist leider keine Ausnahme. Friesische Schweigsamkeit hin oder her – das ist ein untragbares Verhalten, wenn man ausschließlich mit dem Fremdenverkehr seinen Lebensunterhalt verdient. Und das tun sie hier alle. Landwirtschaft ist nur noch eine winzige Randerwerbsquelle.

Yachthafen auf Hoote

Yachthafen auf Hoote

Na ja, ich bin jedenfalls gespannt, wie mein Vortrag am Donnerstag ankommt. Ich sollte auch noch als „Gastarbeiterin“ auf die Hallig Langeness verliehen werden, aber das ist alles so kompliziert und mit Übernachtung verbunden. Gut, dass er am vorletzten Tag meines Aufenthalts stattfindet – sie werden mich schon nicht gleich von der Insel jagen… aber es werden ja eh nur die kommen, die schon verstanden haben, wie Tourismus funktioniert und das sind ausschließlich die, die nicht hier geboren wurden. Mal sehen, was in den fünf Arbeitstagen noch passiert. Werde mir nicht mehr so viel Gedanken dazu machen, denn schließlich bin ich nur „Hand gegen Koje“.

Kirche auf der Hallig Hooge

Kirche auf der Hallig Hooge

Aber nun zu den schönen Dingen. Nach dem Film über die Nordseeküste und Diavortrag über die Halligen stand am Mittwochabend das nächste kulturelle Highlight im Hooger Nachtleben an: Das plattdeutsche Theaterstück. Selbstverständlich wieder bei uns im Haus, in der Schaltzentrale von Hooge. Die Hälfte der Mitwirkenden kenne ich schon. Man sagte mir auch, ich müsste mir wegen des Verstehens keine Sorgen machen – der Inhalt wäre unmissverständlich und die Handlung auch für einen schwerfälligen Bayern leicht nachvollziehbar. Das stimmte – es war wie der Komödienstadel auf platt. Am Freitag gab es dann ein Gitarrenkonzert, das wirklich super war. Es ist echt was geboten – leider werden die Angebote nicht angenommen. Von den Einheimischen war kein einziger auf dem Gitarrenkonzert – außer diejenige – ebenfalls Gastronomin auf der Hallig Hooge -, die uns wortlos den Spendenkorb unter die Nase gehalten hat.

Mittlerweile habe ich die ganze Hallig Hooge mehrfach umrundet. Ich dachte ja, dass ich das jeden Tag nach Feierabend machen würde, aber ich hatte natürlich nicht mit einem so aufregenden Nachtleben gerechnet. Für mein Studium, das ich ja hier auch erheblich weiter bringen wollte, hab ich noch keinen einzigen Strich gemacht… Aber ich schreibe ja euch.. Jedenfalls kann man auf dem Deich in etwa dreieinhalb Stunden die gesamte Hallig Hooge umrunden, aber man kämpft halt an einigen Ecken erheblich mit Gegenwind und so kann es unter Umständen schon ein wenig länger dauern. Außerdem kenne ich inzwischen jeden Gemeindearbeiter und da hält man dann halt unterwegs auch Schwätzchen, wenn Deiche befestigt werden oder Straßen ausgebessert werden. Und Schwätzchen auf Hooge sieht so aus: Ich mach nette Konversation, frage dieses und jenes zu den Arbeiten und mein Gegenüber sagt „nee“ und „joo“. Dann starrt man gemeinsam noch ein bisschen ins Wasser und macht sich wieder auf den Weg mit einem leichten Anheben der Hand zum Gruß.

Aber irgendwie kann man sich an der Landschaft kaum satt sehen – vor allem seit nun auch die Sonne immer zwischendurch mal wieder scheint. Die Kühe, die hier auf den Weiden sind, sind Urlaubsgäste hier. Sie werden im Herbst mit der Fähre wieder aufs Festland zu ihren Besitzern gebracht und kommen erst im Frühjahr wieder – das ist wie bei uns mit den Almen. Mit Bienenvölker wird genauso verfahren. Eigene Viehhaltung ist hier nicht mehr interessant, weil es zu oft „Land unter“ ab dem Herbst gibt und damit der Platz auf den sichereren Warften knapp wird. Bin übrigens seit vorgestern sehr beruhigt bezüglich „Land unter“ und Sturmflut. In den neueren Häusern wurde eine Art Schutzraum eingebaut. Selbst wenn die Grundmauern des Hauses bei einer Sturmflut weggespült werden, bleibt dieser Raum wie auf Stelzen stehen (so behaupten sie wenigstens…). Selbstverständlich haben wir sowas in unserem Multi-Funktionshaus auch und der liegt auch noch ausgerechnet in unserer Wohnung – in dem Zimmer von Familie Hafenmeister in spe.

Die Familie des neuen Hafenmeisters ist natürlich auch ein Gesprächsthema hier. Endlich wieder eine Familie auf der Hallig mit schulpflichtigen Kindern. Die Schule hat zwar Bestandsschutz, aber wenn keine Kinder mehr da wären, dann wäre das natürlich ein Problem. Da es nur noch zwei Halligkinder gibt, die den Nachwuchs bilden, eines ist drei Wochen und eines ein Jahr, war dies natürlich ein entscheidendes Auswahlkriterium den Hafenmeister mit Familie einzustellen. Die Hoffnung, dass die Familie das hier tatsächlich „aushält“ ist  groß. Die Statistik der Ehescheidungen spricht hier auf der Hallig eindeutig dagegen… – außer beide Parteien sind hier geboren. Für viele vom Hallig-Adel ist es schon eine Unternehmung, wenn sie ihre Warft verlassen und zu uns auf die Hanswarft kommen. Das machen sie nicht so oft – sind immerhin maximal drei Kilometer. Bei Gegenwind kann das schon dauern und eine beschwerliche Unternehmung werden.

Heute habe ich „Spätschicht“ – fange erst um 11.00 Uhr zu arbeiten an… Irgendwie wäre ich gestern gar nicht böse gewesen, wenn ich mit Ulrike gleich nach Hamburg hätte abreisen können. Aber die restlichen Tage werden auch vorbei gehen.

Der Wetterbericht für die nächsten Tage wird nun endlich besser – glaube ich wenigstens. Aufgrund der schlechten Internetverbindung hab ich nämlich heute noch das Wetter von gestern auf meinem iPhone…

Ich grüße euch ganz lieb mit meinem wohl letzten Hallig-Tagebuch. Glaube nicht, dass in den nächsten Tagen noch so viel Berichtenswertes geschieht. Freue mich auf jeden Fall auf die Zivilisation und bin doch sehr sehr froh, dieses Experiment Hallig gemacht zu haben. Ich muss ja manche Dinge auch unbedingt machen, um genau zu wissen, dass ich das nicht noch einmal in meinem Leben brauche…

Idyll auf Hallig Hooge

Idyll auf Hallig Hooge

4. Bericht nach 14 Tagen auf Hallig Hooge

Moin ein letztes Mal,

es ist wie immer – am Ende ist man dann doch ein bisschen wehmütig, wenn es vorbei geht… Sitze nun auf der Fähre zurück ans Festland.

Die letzten Tage haben mich versöhnt. Das Wetter hat mitgespielt und wir hatten noch traumhafte Tage, bis dann gestern wieder der Regen kam. Wenn ich mit meiner Arbeit im Büro fertig war, dann bin ich zum Landsende marschiert und hab mich dort in einen Strandkorb gelegt und erst mal ein Nickerchen gehalten – hatte ich schon erwähnt, dass unser Nachtleben manchmal etwas anstrengend ist? Nicht nur unsere Küchenabende, sondern auch die Kultur. Am Dienstag war zum Beispiel ein Orgelkonzert mit Trompete in der Halligkirche. Abgesehen davon, dass der Pastor das falsche Programm ausgeteilt hatte, was aber nicht weiters störend war, weil ich eh kein Stück kannte, war es sehr schön. Die Halligkirche ist einfach was Besonderes.

Vorgestern war nun mein Vortrag und es kamen tatsächlich 15 Personen – mehr als wir erwartet haben. Gab nette Grundsatzdiskussionen, wie z.B. warum ein Vermieter auf der Hallig Hooge WLAN braucht etc. – aber es ist halt wie immer. Es waren nur die da, die eh schon einen passablen Job machen und wenigstens erahnen, was es bedeutet, für Halligtouristen ein schönes Urlaubserlebnis zu gestalten.

auf der Hanswarft auf Hallig Hooge

auf der Hanswarft auf Hallig Hooge

Heute Morgen eine sehr wehmütige Stimmung. Obwohl wir gestern noch ziemlich lang Abschied gefeiert haben – ich hatte die Jungs mit einem 3-Gänge-Menü bekocht – haben sie sich es nicht nehmen lassen, mich heute Morgen beide zur Fähre zu bringen. Hatte dann was von einem tragisch endenden Heimatfilm: Ich auf der Fähre winkend mit einem Tränchen im Auge und meine beiden Hafenmeister auf der Hallig Hooge auch gerührt winkend. Tja mal sehen, wie diese Leben weitergehen. Wie immer verspricht man sich, in Kontakt zu bleiben. Ob es tatsächlich gelingt, ist fraglich. Das neue Hafenmeisterpaar werde ich sicherlich aus der Ferne unterstützen, wenn sie ihr zweites Standbein als „Ferienwohnungsvermieter“ dann demnächst starten. Darum haben sie mich auch gebeten. Robert werde ich schon deswegen nicht mehr aus den Augen verlieren, weil wir über Xing vernetzt sind.

am Hafen von Hallig Hooge

am Hafen von Hallig Hooge

Es war schon eine interessante Erfahrung dieses Abenteuer „Hand gegen Koje“ auf der Hallig Hooge – sei es zu sehen, wie Leben in Deutschland doch so unterschiedlich zu meinem Leben in Deutschland sein kann. Zu sehen, wie man in einer Natur lebt, die ständig bedroht ist, irgendwann nicht mehr existieren wird und wie es ist, nicht ständig alles vorrätig zu haben, weg zu können, wann man möchte und immer von Gezeiten und spärlichen Fährverbindungen abhängig zu sein und auf Gedeih und Verderb seinen Mitmenschen ausgeliefert ist und ihnen dennoch nichts gönnt. Sei es auch zu sehen, wie die Natur Menschen nicht nur hart und schweigsam macht, sondern offensichtlich auch unglücklich. Sei es auch zu sehen, wie Tourismus tatsächlich in manchen Ecken noch gelebt wird und wie lange so eine Einstellung noch funktionieren kann; sei es auch zu sehen, wie manche Menschen arbeiten und trotzdem Geld dafür bekommen; sei es mal wieder zu erleben, mit Menschen aus so unterschiedlichen Welten zusammenzuleben, wie Robert. Wer hätte gedacht, dass ich eines Tages Ramstein für Schmusemusik halten würde, weil ich zeitweise noch viel schrecklicheren Klängen ausgesetzt war. Wer hätte auch gedacht, dass ich ein dermaßen intensives Wissen über politische Subkulturen erhalten werde, woraus ich übrigens sehr viel gelernt habe. WG-Leben war auch mal wieder schön, aber da freu ich mich auch sehr auf meine eigenen vier Wände zu Hause, die leider nicht lange genießen kann.

So, nun hoffe ich, dass meine Umsteigeverbindungen – insgesamt 4 an der Zahl – alle so klappen und dann bin ich heute um 18.30 Uhr zu Hause – eigentlich eine stolze Leistung für knapp 1000 km mit Schiff, Bus und Bahn. – Wenn ich die Mail jetzt rausbekomme, dann hab ich schon das 3. Umsteigen glücklich und pünktlich hinter mir und wenn ich erst mal in Hamburg bin, sollte nichts mehr schief gehen.

Abendstimmung auf Hallig Hooge

Abendstimmung auf Hallig Hooge

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