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Kloster Ananuri in Georgien

GEORGIEN

Vor vielen Jahren hatte ich „Durch den wilden Kaukasus“ von Fritz Pleitgen gelesen und seither hatten mich seine Geschichten über die grandiosen Landschaften und Kulturen, die uralten Traditionen und die Menschen mit ihrer Gastfreundschaft nicht mehr losgelassen. Aber es sollten noch Jahre vergehen, bis ich den Plan in diese Region und nach Georgien zu reisen, in die Realität umsetzen konnte.

Mit Reisekultouren nach Georgien

So kam die Anfrage von Dr. Birgit Bornemeier vom Studienreiseveranstalter Reisekultouren mehr als gelegen, sie in den Kaukasus zu begleiten, da sie ein neues Reiseziel in ihr Programm aufnehmen wollte und schon lange über Georgien nachgedacht hatte. Wie bei allen anderen Reisen auch, wollte sie sich selbst vor Ort erst ein Bild von der Situation machen, um dann die für ihre Gäste geeignete Route zusammenzustellen. Mich bat sie um meine fachliche Unterstützung bei der Reiseplanung und in Bezug auf die Beurteilung der Qualität der Unterkünfte vor Ort. In Zusammenarbeit mit der Agentur Arcus Tours Georgien hatte Frau Bornemeier ein ambitioniertes Programm für die nächsten Tage ausgearbeitet. Natürlich galt es, alle möglichen interessanten Besichtigungspunkte in unser Programm einzubauen, um am Ende der Reise die Entscheidung für die Höhepunkte und Besonderheiten treffen zu können. Daneben standen aber, wie es sich bei einer gut organisierten Vortour gehört, auch jede Menge Hotelbesichtigungen auf dem Zeitplan, da die Hotelqualität in Georgien noch sehr unterschiedlich ist und es einer gezielten Überprüfung vor Ort bedarf, um den Standard der deutschen Gäste zu erfüllen. Der Dritte in unserem Bunde, Jens Hausmann, ebenfalls Mitarbeiter von Reisekultouren, ist für die Fotos zuständig, die den Georgien-Interessenten dieses wunderbare Reiseland in Form von Fotos zunächst näher bringen und zu einer Reise inspirieren sollen.

Unsere kleine „Reisegruppe“ trifft am Flughafen Istanbul Sabiha Gokcen aufeinander. Wir haben uns aufgrund der Tagesflugzeiten für einen Flug mit Turkish Airlines entschieden, damit allerdings auch den Umstieg in Sabiha in Kauf genommen. Direktflüge von Deutschland nach Georgien gibt es nur ab München mit Lufthansa, allerdings mitten in der Nacht, ähnlich verhält es sich mit anderen Fluggesellschaften.

Tbilisi – die grüne Stadt

Als wir mit einer kleinen Verspätung in Tiflis, oder wie die Georgier sagen, in Tbilisi, am späteren Abend ankommen, erwartet uns bereits Khatuna, die Leiterin der georgischen Agentur Arcus Tours Georgien, die Frau Bornemeier für die Zusammenarbeit in Georgien im Vorfeld ausgewählt hatte, in der Ankunftshalle. Sympathisch begrüßt sie uns und begleitete uns zu unserem Hotel in Tiflis, das etwa 20 Minuten Fahrzeit vom Flughafen entfernt liegt. Das Hotel Laerton hat eine wunderbare Dachterrasse, auf der auch das Frühstück eingenommen werden kann. Der Ausblick ist fantastisch, denn Tiflis liegt in einem grünen Talkessel und erinnert von der Lage her an Innsbruck – vielleicht sind die beiden Städte auch deswegen Partnerstädte. Der erste Eindruck von der georgischen Hauptstadt ist toll, auch wenn uns für die Erkundung zunächst keine Zeit bleibt, denn auf unserem Programm steht heute die Region Kachetien, die man über den Gombori Gebirgszug erreicht. Kachetien ist die meist besuchte Region in Georgien und liegt an den Südhängen des Großen Kaukasus. Obwohl das Gebiet schwach besiedelt und die Infrastruktur ausbaufähig ist, stellt es auf Grund der vielen Sehenswürdigkeiten und der Dichte an Weingütern eine hohe Anziehung für kultur-, natur- und kulinarisch interessierte Touristen dar. Bei der Fahrt über den Gebirgszug, der bis auf 2.000 m ansteigt, tun sich immer wieder herrliche Ausblicke auf eine unglaublich grüne Landschaft auf, die wir so nicht erwartet hatten.

Kloster Alawerdi

Kloster Alawerdi

Die Weinregion Kachetien in Ost-Georgien genießen

Der erste kurze Stopp erfolgt am Iqalto-Kloster und der Akademie von Iqalto. Danach geht es weiter nach Alawerdi, dem religiösen Zentrum Kachetiens. Der imposante Komplex überrascht vor allem durch seine Ausmaße und durch seine Lage in der Ebene. Die 56 m hohe orthodoxe Georgs-Kathedrale hat in ganz Georgien eine herausragende Bedeutung. Da sich in dieser Gegend die kulturellen Highlights wirklich ballen, sind es nur wenige Kilometer bis zu einer weiteren interessanten Sehenswürdigkeit, nämlich der Wehrkirche Gremi, die seit 2007 UNESCO Weltkulturerbe ist. Die Festungsanlage thront weithin sichtbar auf einem Felsen und wurde erst vor Kurzem gründlich restauriert.

Kultur macht hungrig. Khatuna kennt direkt neben dem Hügel von Gremi ein kleines Kaffee, wo wir im Garten unsere Mittagspause einlegen. Auf ihre Empfehlung hin verkosten wir das georgische Käsebrot, eine Art Fladenbrot gefüllt mit Schafskäse. Warm gemacht, ist es eine leckere und sättigende Imbissvariante. Dazu gibt es einen köstlichen Tomaten-Gurken-Salat, der bei keiner georgischen Mahlzeit in den nächsten Tagen fehlen wird.

Georgien versteht sich als die Wiege des Weinanbaus. Wein wird hier schon seit 6000 Jahren kultiviert. Die Georgier behaupten sogar, dass das Wort „Wein“ aus ihrer Sprache stammt. „Den Wein hat Gott der Menschheit als Entschädigung für die Vertreibung aus dem Paradies geschenkt“ da sind sich die tiefgläubigen Georgier sicher. Gerade die Region Kachetien gilt als eine der besten Weinregionen des Landes. Seit 2013 steht die traditionelle Art der Weinherstellung auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Der Wein gärt in Tongefäßen, den Kwewris, die in die Erde eingelassen werden und bis zu 3.500 Liter fassen können. Die Farbe des traditionell ausgebauten Weißweins ist meist goldgelb bis orange. Bei einer Verkostung im Weingut Schuchmann kommen wir zum ersten Mal in den Genuss eines traditionellen georgischen Weins, der sich geschmacklich deutlich von der europäischen Ausbauvariante unterscheidet. Burkhard Schuchmann, ein deutscher Kaufmann hat das Weingut im Jahr 2008 erworben und bis 2010 10 Mio. Euro investiert. Er baut seine Weine, sowohl auf die europäische Art, wie auch auf die traditionelle georgische Art aus. Aber auch viele andere kleinere Weingüter lohnen einen Besuch – und eine Verkostung wird bei den gastfreundlichen Georgiern immer gerne offeriert.

Im Weinkeller von Schuchmann

Im Weinkeller von Schuchmann

Der Landsitz des Fürsten Alexander Tschavtschavadze befindet sich etwa 10 km östlich von Telawi in einem gepflegten englischen Landschaftsgarten. Eine Museumsführerin erklärt uns in perfektem Deutsch das interessante Leben des Fürsten, der der Patensohn von Katharina der Großen war, weist auf bedeutende Möbelstücke hin und überlässt uns dann uns selbst in einer Ausstellung von zeitgenössischen Malern in einer kleinen Galerie des Landsitzes, die uns völlig überrascht und begeistert.

Auf Wein aus Kachetien in ganz anderer Form, als er uns im Weingut Schuchmann präsentiert wurde, treffen wir im Weinhaus Nunu Kardenachlischwili. Nunus Familie hatte ein Nachbargrundstück gekauft, auf dem sich eine Scheune befand. Vier Löcher, deren Bestimmung man zunächst nicht kannte, waren hier in den Boden eingelassen und man hatte sie für die Müllentsorgung zweckentfremdet. Als man die Löcher in wochenlanger Arbeit vom Müll befreite, kam ein Weinkeller aus dem 17. Jahrhundert zum Vorschein. Heute dekorieren den Keller unzählige georgische Gegenstände, wie z.B. Weinkrüge, die vermutlich 2.700 Jahre alt sind. Die dort gezeigte Antiquitätensammlung ist eindrucksvoll und interessant, aber vor allem auch der Wein, der immer noch direkt vor den Augen der Gäste aus den im Boden eingelassenen Amphoren entnommen wird, ist bemerkenswert.

Kurz vor der Schließung des Klosters erreichen wir dann Bodbe, eine der heiligsten Stätten Georgiens. Hier liegt die Heilige Nino, die Nationalheilige Georgiens begraben. Nino war eine Missionarin und Heilerin, die die Bekehrung der Georgier zum Christentum einleitete. Die Georgische Orthodoxe Kirche stellt sie den Aposteln gleich und nennt sie die „Erleuchterin Georgiens“. Das Kloster, das in einem, von den dort noch lebenden Schwestern, gepflegten Garten liegt, wirkt schlicht, aber vermutlich gerade deswegen besonders beeindruckend.

Unsere letzte Station in Kachetien bildet der Ort Signagi. Nach der Fahrt durch ärmliche Dörfer und menschenleere Landstriche erinnert es an einen adretten Schweizer Kurort. Fast mediterraner Flair einer italienischen Kleinstadt schlägt einem entgegen. Nur die verschneiten Gipfel des Hohen Kaukasus in der Ferne widersprechen diesem Eindruck. Das Zentrum der Stadt wurde 2007 generalsaniert – in dieser Form einmalig in ganz Georgien, da es sich um ein Vorzeigeprojekt der damaligen georgischen Regierung handelte. In netten Cafés und Restaurants kann man rund um den Hauptplatz sitzen und das neu entstandene Idyll genießen.

Es ist spät, als wir an dem Abend nach Tiflis zurück kehren, aber die vielen Restaurants, in denen man die sommerliche Abendluft genießen kann, laden zum Ausgehen ein. Die Stadt ist quirlig, voller jungem Leben und auch voller Gegensätze, die in Tiflis nur wenige Schritte voneinander entfernt liegen. Auf der einen Seite die vor allem am Abend in beeindruckendem Lichtdesign erstrahlende futuristische Friedensbrücke, auf der anderen Seite die jahrhundertealten, unterirdischen Schwefelbäder, deren halbkugelförmigen Kuppeln aus dem Boden ragen.

Tiflis bei Nacht

Tiflis bei Nacht

Leider bleibt bei unserer beruflich motivierten Reise nur wenig Zeit für Tiflis, das uns als interessante Stadt mit vielen attraktiven Plätzen, besuchenswerten Museen, geschichtsträchtigen Thermen und herrlichen Aussichtspunkten völlig überrascht. Ein Grund mehr, Tiflis bei einem späteren Besuch mehr Aufmerksamkeit einzuräumen. Nach der Besichtigung von Hotels in der Innenstadt, geht es über das Rustaweli-Boulevard, die Flaniermeile von Tiflis, zum Georgischen Nationalmuseum, wo vor allem die Schatzkammer mit eindrucksvollen Goldschmiedearbeiten und die interessante Abteilung der sowjetischen Okkupation einen Besuch lohnen.

Sweti-Zchoweli Kirche

Sweti-Zchoweli Kirche

Wir verlassen Tiflis und statten im nahen Mzcheta noch der Sweti-Zchoweli Kirche und der von überall in der Umgebung sichtbaren Dshwari-Kirche, die ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, einen Besuch ab.

Sweti-Zchoweli-Kirche

Sweti-Zchoweli-Kirche

Hinein in den wilden Kaukasus

Anschließend geht es zur Festung Ananuri, die einem am Ufer des Stausees von Shinwali ins Auge fällt. Wieder einmal ist es hier nicht nur die Architektur, die beeindruckt, sondern auch die einzigartige Lage und Kulisse, die das Bauwerk umgibt. Und kaum hat man die betriebsame Hauptstadt ein paar Kilometer hinter sich gelassen, verändert sich auch das georgische Leben: Man trifft unterwegs auf große Schafherden, die von ihren Hirten zu Fuß und per Pferd über die Weiden getrieben werden. Immer gut bewacht von einem Rudel Kaukasischer Hirtenhunde, die die widerspenstigen Tiere in Zaum halten. Schafherden und frei grasende Kühe gehören genauso zum Straßenbild, wie tollkühne georgische Autofahrer. Diese Konstellation lässt den kurzzeitig auftauchenden Gedanken, dieses Land doch auch gut allein mit dem PKW bereisen zu können, umgehend abwegig oder wenigstens nur für Hasardeure interessant erscheinen.

Festung Ananuri

Festung Ananuri

Von Ananuri folgt nun eine landschaftlich unglaubliche Fahrt hinein in den Kaukasus über den Skiort Gauderi bis nach Stephantsminda, etwa 12 Kilometer vor der russischen Grenze. Einen Teil der Strecke legen wir dabei auf der oft beschriebenen Georgischen Heerstraße zurück, die an der Grenze zur autonomen Region Südossetien verläuft. Seit sich Südossetien – Nordossetien gehört immer noch zu Russland – 1990 unabhängig erklärt hatte, kam es immer wieder zu Ausschreitungen, deren Höhepunkt 2008 der 5-Tage-Krieg bildete. Südossetien ist, genau wie Abchasien, das ebenfalls ein Teil von Georgien ist, derzeit für Touristen nicht zugänglich. Wer die Heerstraße befährt, stellt sich immer wieder die Frage, unter welchen Anstrengungen diese Meisterleistung der Straßenbaukunst wohl bewerkstelligt wurde. Nicht zuletzt waren auch deutsche Kriegsgefangene nach dem 2. Weltkrieg am weiteren Ausbau dieser Straße beteiligt. Ein deutscher Soldatenfriedhof am Kreuzpass erinnert immer noch an diesen traurigen Abschnitt der Geschichte. Die Georgische Heerstraße bildete die Grundlage für literarische Werke, Ideenaustausch und nicht zuletzt ist sie für die Georgier die Anbindung an Russland. Noch heute bildet die Straße eine wichtige Transitstrecke für den Handel zwischen dem Iran, Armenien, Georgien und Russland. Der Weg windet sich bis auf 2.379 Metern hinauf bis zur Passhöhe, die den niedrigsten Übergang über den Großen Kaukasus darstellt. Das Panorama mit den Gipfeln des Kaukasus ist unbeschreiblich.

Landschaft im Kaukasus

Landschaft im Kaukasus

In Stephantsminda, dem ehemaligen Kasbegi, angekommen, hat man das Gefühl, wirklich mitten im Kaukasus zu sein. So stellt man sich die Menschen dort vor: Markante Gesichter, hager und mit einem ungezähmten Pferd unterwegs. Den einen oder anderen kann man tatsächlich so im Dorf beobachten. Spontan kommt mir immer wieder das Buch von Fritz Pleitgen „Durch den wilden Kaukasus“ in den Sinn, das mich für diese Region schon vor vielen Jahren mit den darin enthaltenen Erzählungen und Beschreibungen begeisterte. Jetzt bin ich also wirklich hier. Von Stephantsminda geht es mit einem Jeep etwa 45 Minuten auf einer Fahrpiste mit tiefen Schlaglöchern den Berg hinauf zur Gergeti-Kirche, der Dreifaltigkeitskirche auf 2.200 m Höhe, sicherlich einem der Höhepunkte der Reise. Wer mehr Zeit hat, sollte sich auf jeden Fall zu Fuß bei einer Halbtagswanderung auf den Weg hinauf zu dem immer noch von Mönchen bewohnten Kloster machen. Zum Einen ist die langsame Annäherung eine beeindruckende Erfahrung und zum anderen schont man seine Bandscheibe, wenn man die Auffahrt mit den Allradfahrzeugen umgeht. Der Blick ist einzigartig, die Sonne kommt genau im richtigen Moment und so gelingen uns Fotos, die schöner als in manch einem Reiseführer sind. Leider lässt sich der Kasbek an dem Tag nicht sehen. Für viele Bergsteiger hat dieses Bergmassiv eine ganz besondere Anziehung. Der Kasbek ist der dritthöchste Berg Georgiens und der achthöchste im Kaukasus. Der Sage nach soll der Kasbek jener Berg der griechischen Mythologie sein, an den Prometheus gekettet wurde, weil er den Göttern das Licht stahl.

Gergeti-Kirche

Gergeti-Kirche

Nach dieser beeindruckenden Exkursion steht noch die Besichtigung vom Rooms Hotel in Stephantsminda auf dem Hotel. Ein tolles Hotel mit Lodgecharakter und einem herrlichen Blick auf die Gergeti-Kirche und den Kasbek. Man möchte eigentlich gar nicht mehr weg von der dem Bergmassiv zugewandten Terrasse. Wie schön könnte es jetzt sein, mit einem Aperitif in der Hand, diesen abendlichen Blick zu genießen? Allerdings sind die Hotels in Georgien keine Schnäppchen. Wer jedoch kostengünstig reisen möchte, kann dies auch in Guesthouses tun, die häufig zwar einfach sind, aber dennoch solide geführt werden. Bewertungen zu diesen Häusern, die inzwischen auch schon vermehrt eine Internetseite haben, findet man auf Tripadvisor.

Wir übernachten in Gudauri im Hotel Marco Polo an diesem Tag auf 2.000 m, eines der Wintersportzentren Georgiens, das um diese Jahreszeit ein wenig an Val Thorens oder Zürs im Sommer erinnert. Hier gibt es viele Hotels, Skilifte und eine Bergstation auf über 3.000 Metern Höhe. Im Sommer ist es eher beschaulich hier, nur Touristen, unterwegs auf der Georgischen Heerstraße, nutzen die Infrastruktur für einen Übernachtungsstopp. Gudauri sollte einst sowjetischer Olympiastützpunkt werden, was dann aber nach dem Zerfall der Sowjetunion natürlich nicht mehr weiter verfolgt wurde. Inzwischen haben aber die Österreicher in den Ort investiert und sich an Hotels und Bergbahnen beteiligt.

Klöster, Höhlenstädte und ein Besuch in Stalins Heimat

Kühl ist es in diesen Höhen und so freuen wir uns, dass wir wieder hinab in wärmere Gefilde kommen. Nach einem Halt am Kloster Samtavisi erreichen wir Gori, die Geburtsstadt von Stalin. In Georgien wird Stalin immer noch verehrt und seine Kriegsverbrechen werden von so manchem einfach negiert. Dem berühmten Sohn der Stadt ist ein großes Museum, das es allerdings an Objektivität vermissen lässt, gewidmet. Außerdem kann im Park des Museums der Eisenbahnwagon, mit dem Stalin zu reisen pflegte, besichtigt werden. Sein Geburtshaus, das winzig ist und lediglich aus zwei Zimmern besteht, wurde kurzerhand überbaut und kann ebenfalls in dem Museumspark von außen besichtigt werden.

Stalins Eisenbahnwagon

Stalins Eisenbahnwagon

Wenige Kilometer entfernt, befindet sich die Höhlenstadt Uplisziche, die „Festung Gottes“, die größtenteils aus dem 16.-15. Jahrhundert v.Chr. stammt und zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Georgiens zählt. Uplisziche entwickelte sich zu einem Handelszentrum an der Seidenstraße mit rund 5.000 Einwohnern. Auf dem höchsten Punkt erhebt sich die Fürstenkirche aus dem 10. Jahrhundert, deren Inneres mit Fresken bemalt ist. Das größte Gebäude der Anlage ist Tamaris Darbasi, eine große Felsenhalle mit zwei gewaltigen Säulen. Die Wohnhäuser sind in den weichen Fels geschlagen, hatten Säulen und gewölbte Dächer. Es gab ein Amphitheater, eine Apotheke, eine Bäckerei, Lagerhäuser, ein Gefängnis und einen Markt. Ein in die Felswand gegrabener Tunnel, der ursprünglich der Wasserversorgung der Einwohner diente, ist heute der Zugang zum Plateau.

Uplisziche

Uplisziche

Nun nehmen wir Kurs auf Kutaisi auf. Auch heute ist die Landschaft wieder spektakulär – anders als am Vortag auf dem Weg zum Kreuzpass. Heute, wenn wir von Ostgeorgien nach Westgeorgien wechseln, erreichen wir damit auch eine andere Klimazone, in der eher subtropisch-feuchtes Klima herrscht. Die Gegend ist gebirgig, grün, Flüsse begleiten uns, gepflegte Dörfer liegen rechts und links der Straße – es sieht lieblicher aus als auf der Georgischen Heerstraße, idyllisch, wohltuend fürs Auge. Ach, ist dieses Georgien doch unglaublich schön! Am Straßenrand verkaufen Händler Hängematten, Tongefäße oder leckeres frisch gebackenes Rosinenbrot. Auch Obst in allen Variationen bieten sie zum Verkauf. Bei einem Rundum-Blick hat man gerade so ein bisschen das Gefühl, im Paradies gelandet zu sein.

UNESCO-Weltkulturerbe in Georgien

In Kutaisi wollen wir die Klosteranlage von Gelati, die UNESCO Weltkulturerbe ist, besichtigen. Die Straßen dorthin, obwohl es nur 9 Kilometer außerhalb von Kutaisi liegt, stellt aufgrund von Pflasterarbeiten eine Herausforderung dar. Aber unserem Fahrer Barumi, der nun schon seit fast vier Tagen unseren Van steuert, gelingt es auch diesmal souverän, uns ans Ziel zu bringen. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Gelati ist eine malerische Anlage auf dem Berg, die aus drei Kirchen und einer Akademie besteht. Wie so oft in den Klosteranlagen beobachtet, bieten auch die orthodoxen Priester dort einen faszinierenden Anblick, wenn sie mit ihren Rauschebärten beten oder sich miteinander oder mit den Gläubigen unterhalten. Anschließend geht es zurück nach Kutaisi, wo wir noch die Bagrati Kirche besichtigten, die eigentlich eine Ruine war, aber mit neuen Elementen geschickt renoviert wurde und daher derzeit riskiert, den UNESCO-Weltkulturerbe-Status zu verlieren.

Gelati-Kloster

Gelati-Kloster

Wir übernachten im Hotel Bagrati, das aus einem alten und neuen Teil besteht. Alles wirkt noch ein wenig sozialistisch, aber durchaus angenehm. Auch das Personal ist ausgesprochen freundlich und bemüht sich mit geringen Englischkenntnissen, die Gäste vollkommen zufrieden zu stellen. Das Haus hat eine wunderbare Dachterrasse, von der man einen herrlichen Blick auf Kutaisi genießen kann. Bei angenehmen 28 Grad am Abend lässt es sich dort wunderbar aushalten.

Kuren in Georgien

Die nächste Station unserer Reise ist Borjomi, ein traditionsreichen Kurort, schon in der zaristischen Zeit. Das Mineralwasser von Borjomi ist legendär und hilft gegen alles – leider schmeckt es auch so, wie grässliche Medizin, aber wenn es hilft, dann kann man das schon mal lauwarm zu sich nehmen. Borjomi ist auf jeden Fall mit seinem gepflegten Kurpark einen Besuch wert. Zusammen mit dem nahegelegenen Kur- und Wintersportort Bakuriani hatte sich Borjomi um die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2014 beworben, aber der Zuschlag ging damals an Sotschi. In der waldreichen Umgebung von Borjomi wurde 1838 eine Tannenart erstmals erwähnt, die nach ihrem Entdecker Alexander von Nordmann benannt wurde und in Europa eine große Karriere als Weihnachtsbaum machte.

Vardzia

Vardzia

Nach der Besichtigung des eleganten, über der Stadt gelegenen Borjomi Palace Hotels, liegt eine längere Fahrtstrecke zur Höhlenstadt Vardzia vor uns, einem weiteren Höhepunkt der Georgienreise. Hoch über einen Fluss gelegen, ragt eine rund 500 Meter hohe Steilwand auf, die auf einer Länge von mehreren hundert Metern von Höhlen durchlöchert ist. Die Baumeister nutzten Vor- und Rücksprünge für die Anlage tiefer Höhlen, die durch Tunnel, Treppen, Terrassen und Galerien miteinander verbunden sind. Bis ins 13. Jahrhundert waren diese Höhlen komplett vom Fels verborgen, doch ein Erdbeben zerstörte einen großen Teil der Höhlen und legte Vardzia – bis dahin eine verborgene Stadt – frei. Ursprünglich 20.000 Säle, auf bis zu dreizehn Stockwerken verteilt, boten einst Platz für 50.000 Menschen. Man muss einfach beeindruckt sein, von Vardzias Größe. Da die Zeit drängt und wir am Abend an der georgisch-armenischen Grenze erwartet werden, brechen wir auf, obwohl man noch stundenlang durch die Felssäle steigen könnte und immer wieder Neues entdeckt. Unterwegs machen wir noch einen Fotostopp an der Chertwisi-Festung, die ein malerisches Fotomotiv abgibt.

Festung Chertwisi

Festung Chertwisi

Die Landschaft wir zunehmend karger, je weiter wir uns der georgisch-armenischen Grenze auf dem Kleinen Kaukasus bei Brava auf 2.000 Meter Höhe nähern und kurz bevor wir Georgien in Richtung Armenien verlassen, gilt es Resümee zu ziehen.
Ein georgisches Sprichwort sagt: „Es ist besser etwas einmal zu sehen als zehnmal darüber zu hören“. Dies hat in meinem Fall für Georgien definitiv zugetroffen. Nahezu dramatisch schön kann man die Landschaft, die sich permanent wechselnd, bietet, wohl am besten beschreiben. Obwohl die Gipfel des Kaukasus alles in den Schatten stellen, sind es dennoch auch die grünen Täler, riesigen Weiden und idyllischen Flusstälern, die in ihrer Sanftheit einen beeindruckenden Kontrast bilden. Das jahrtausendealte Kulturland beherbergt unter anderem im 4. Jh. entstanden erste, mit Fresken ausgeschmückte Kirchen und Klöster. Viele davon sind heute Weltkulturerbe. Wo man hinsieht, entdeckt man bauliche Zeugen einer großen Geschichte, die geprägt wurde von einer wechselhaften Vergangenheit. In kaum einem anderen Land ist die natürliche Schönheit des Landes und seine spannende Geschichte zwischen Orient und christlichem Abendland in so intensiv spürbar wie in Georgien.

Imam Platz in Isfahan / Iran

IRAN

Der Iran – seit ich denken kann, übte dieses Land eine unerklärbare Faszination auf mich aus. Im Frühjahr 2015 wurde der Traum, dieses Land zu bereisen, Wirklichkeit. Und nicht nur die Kultur, Architektur und Natur waren es, die die Reise zu einem einzigartigen Erlebnis werden ließen, sondern vor allem die offene Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Iraner beeindruckten tief und hinterließen nachhaltige Spuren. Weiterlesen

Eisfestival von Harbin

EISFESTIVAL HARBIN

Wo fliegen wir nach Weihnachten hin? Zum Eisfestival in Harbin? Etwas ungläubig musste ich nochmal nachfragen, vielleicht lag es ja auch nur an meiner schlechten Skype-Verbindung, die ich gerade mit meiner Nichte Anna-Lena unterhielt, die für ein Jahr zu einem Studienaufenthalt in Shanghai weilte. Harbin? Wo ist das denn? In der Nähe der russischen Grenze? Und da wollen wir Ende Dezember hin? Na klasse!

Stadt aus Eis

Stadt aus Eis

Warum nicht? Die Metropolen und touristischen Highlights Chinas kannte ich ja schon von vorhergehenden Besuchen. Außerdem hatte ich vor, Anna-Lena an Weihnachten zu besuchen. Zuvor wollte ich aber allein, auf eigene Faust, ein paar Regionen Chinas erforschen, in denen der Tourismus noch nicht so verbreitet war, wenigstens der nicht-chinesische Tourismus.

Wie sich im Nachhinein herausstellte, wäre ich meiner Nichte vermutlich auch an den Nordpol gefolgt. So froh war ich, dass ich nach drei Wochen Südchina, in denen ich quasi kommunikationsfrei lebte, mangels irgendwelchen Menschen, die sich auch nur annähernd über „Hello“ hinaus, mit mir auf Englisch hätten unterhalten können, wieder einen lieben Menschen in meiner Gesellschaft hatte.

abendliche Stimmung beim Eisfestival

abendliche Stimmung beim Eisfestival

Das Eisfestival von Harbin – seit 1985 Magnet für Besucher aus aller Welt

Inzwischen hatte ich natürlich auch schon ein wenig über Harbin gelesen:
Bereits seit 1985 heißt dieses spektakuläre Festival von Dezember bis Mitte Februar jährlich Tausende Besucher aus der ganzen Welt willkommen und begeistert sie mit seinen aus Eis und Schnee gefertigten und stimmungsvoll inszenierten Kunstwerken, die sich über die ganze Stadt verteilen und nachts wundervoll beleuchtet werden.

gigantische Schneeskulpturen

gigantische Schneeskulpturen

Die Bilder im Internet waren faszinierend! Leider auch die Temperaturprognosen. 40 Grad Minus – war die Normalwitterung während unserer Reisezeit. Was trägt man denn da? Vor allem, wenn man mit dem Rucksack unterwegs ist und sich durch mehrere Klimazonen im Laufe der vergangenen Wochen bewegte. Die Überlegungen waren müßig, denn dieser Kälte hielten dauerhaft keine Stücke aus meiner Reisegarderobe stand. Erst nachdem wir den Flug gebucht hatten, stellte ich im Internet fest, dass das Eisfestival erst Anfang Januar offiziell eröffnet wird. Na wunderbar – und was machen wir dann schon am 25.12. dort? Aber die Befürchtungen waren unbegründet, denn natürlich entstehen solche Kunstwerk nicht an einem Tag. In wochenlanger Arbeit erschaffen nationale und internationale Künstler aus der ganzen Welt eine begehbare Schneestadt aus Eis- und Schnee, Kopien von Gebäuden, Wahrzeichen oder Skulpturen.

Schneestadt

Schneestadt im Eisfestival

Klirrende Temperaturen in Nordchina

Wir hatten Glück, als wir am ersten Weihnachtsfeiertag am frühen Nachmittag nach einem dreistündigen Flug ab Shanghai in Harbin ankamen. Es hatte nur etwa 35 Grad Minus, Harbin lag unter einer dichten Wolkendecke und auch ansonsten suchten wir zunächst vergebens nach dem Charme dieser nordchinesischen Metropole. Der russische Einfluss war omnipräsent und so wurden wir auch trotz des fließenden Chinesisch von Anna-Lena immer wieder für Russen gehalten. Gerade die Restaurantbetreiber wollten so gar nicht verstehen, dass ich sowohl mit der Chinesischen Speisekarte wie auch mit der Russischen Übersetzung völlig überfordert war.

Künstler bei der Arbeit

Künstler bei der Arbeit

Schnell stellte sich heraus, dass das Areal, wo das Eisfestival stattfand, zweigeteilt war. Zum Einen die Eisstadt und zum Anderen die Schneeskulpturen. Aber auch in der Innenstadt von Harbin traf man überall auf Kunstwerke und Bauten aus Eis. Wir machten es genau richtig, denn um überhaupt erst eine Orientierung zu bekommen, besuchten wir am Abend erst einmal, die etwas näher zur Stadt gelegene Eisstadt, die vor allem in der abendlichen Beleuchtung richtig zu Geltung kam. Man fühlte sich wie ein Kind, das in eine Märchenwelt eintauchte. In einem etwa zweitstündigen abendlichen Bummel kann man sich durch die Straßen des Geländes treiben lassen, die flankiert von den in Leuchtfarben angestrahlten Kunstwerken sind. Wenn es einem dann selbst in dem zentimeterdicken Zwiebellook, den man zwangsläufig tragen muss, zu kalt wird – und das passiert relativ schnell – dann kann man sich in eines der kleinen Schneecafés retten. Allerdings richtig gemütlich wird es da auch nicht. Die geschäftstüchtigen Chinesen hatten auch schon 10 Tage vor der offiziellen Eröffnung eine perfekte Shuttle-Bus-Organisation zwischen den Hotels in der Stadt und den Eisfestival-Geländen eingerichtet und selbst als nicht-chinesisch-sprechender Tourist, war es problemlos möglich, sich hier anzuschließen.

Schneeskultpur am Abend

Schneeskultpur am Abend

Dankenswerterweise hatte einige Monate, bevor wir nach Harbin kamen, ein ganz neues Ibis Hotel im Stadtzentrum eröffnet. Normalerweise meide ich diese Kettenhotels, aber in unserem Fall war es einfach ein Segen. Neu, sauber, mit Laminat (jeder, der schon einmal in China war und versucht hat, ohne Hautkontakt mit dem Teppichboden den Aufenthalt zu überstehen, weiß, wovon ich spreche) und vor allem mit einer Heizung, die auf der Temperaturskala nach oben offen, zu regulieren war.

Impression in der Stadt

Impression in der Stadt

Kunstwerke in der Stadt und auf dem Gelände des Eisfestival

Und dann die Überraschung am nächsten Morgen. Hatten wir doch gelesen, dass der Himmel über Harbin fast immer grau ist und nahezu immer eine dicke Dunstwolke über der Stadt hängt – bei uns wollte das Wetter eine Ausnahme machen. Dunkelblauer Himmel, strahlender Sonnenschein und nur noch etwa 28 Grad Minus! Perfekter hätte der Hintergrund für unsere Fotos bei den Schneeskulpturen nicht sein können. Mehr als 2000 Kunstwerke werden hier jährlich geschaffen und es werden jedes Jahr mehr. Die Eis- und Schneeskulpturen brachten Harbin bereits mehrere Einträge ins Guiness Buch der Rekorde, unter anderem für die Kopie der Großen Mauer, die mit 958 Metern die längste Eiskonstruktion der Welt darstellte. Man kann Künstlern beim Schnitzen von Eis- und Schneeskulpturen zuschauen, Eiskunstausstellungen besuchen oder Chinesen beim beliebten Winterschwimmen beobachten. Zahlreiche Highlights stehen während der Festivalzeit auf dem Programm.

Treiben am Fluss

Treiben am Fluss

Neben der passenden Kleidung für die Extremtemperaturen sollte man auch daran denken, dass sich die Akkus der Kamera und Handys bei -40 Grad extrem schnell entladen. Und nichts wäre ärgerlicher, als diese genialen Fotomotive ungenutzt zu lassen.

Szenen am Fluss

Szenen am Fluss

Gelungener hätte unser Kurzausflug nach Harbin nicht verlaufen können – ein einzigartiges Erlebnis, vor allem auch weil sich hier westliche und chinesische Ansprüche an Kunst und Darbietung vermischen. Wer friert da nicht gerne ein bisschen, um an so einem Spektakel teilzunehmen?

KUBA

Kaum etwas hat die Wahrnehmung der Karibikinsel Kuba so sehr geprägt wie Che Guevara, Castro und der Buena Vista Social Club. Die große Antilleninsel begeistert vor allem mit lebendiger Kultur, mitreißender Musik und unbändiger Lebensfreude – trotz der schwierigen Lebensbedingungen, denen sich die Kubaner Tag für Tag stellen müssen.  Aber es ist auch die Morbidität der Stadt Havanna, die herrliche Landschaft um die Weingegend Vinales und der Regenwald im Osten der Insel, die die Besucher in ihren Bann ziehen.

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Westerwarft auf Hallig Hooge

HALLIG HOOGE

Reisetagebuch von der Hallig Hooge – Erlebnisse beim Projekt „Hand gegen Koje“

1. Bericht nach zwei Tagen auf Hallig Hooge

Liebe Freunde,
nicht nur in Anbetracht der tragischen Entwicklung der Wetterlage auf der Hallig Hooge habe ich mir gedacht, ich könnte doch die nun jahrelang unterbrochene Tradition fortsetzen, euch ab und zu ein paar Reiseerlebnisse per Mail zukommen zu lassen. Nun hält sich ja das Reisen hier in Grenzen, aber selbst nach ein paar Stunden auf der Hallig Hooge zeichnet sich ab, dass mein Aufenthalt doch die eine oder andere berichtenswerte Geschichte her gibt.

Die Anreise mit der Bundesbahn verlief mit einer nie dagewesenen Pünktlichkeit – wenigstens bei mir. Leider nicht bei 15 Schwaben, deren Zug Verspätung hatte, sie dadurch den Anschlusszug verpassten und nun mein Bus zum Fähranleger warten musste, bis sie in aller letzter Minute eintrafen. Beim Benachrichtigen der Fähre von dieser Verspätung hatte ich erstmals das Bedürfnis, dem Busfahrer zur Hand zu gehen, um das Verfahren zu beschleunigen und vor allem sicher zu stellen, dass die Nachricht auch wirklich den erreicht, der das Schiff steuerte. Aber ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt dann schon ums reibungslose und zügige Beladen des Busses mit dem schwäbischen Gepäck gekümmert, denn hier schien mir auch Handlungsbedarf. Gleichzeitig schoss mir hier – also noch lange bevor ich das nordfriesische Festland verlassen hatte – erstmals der Gedanke in den Kopf, dass hier die Welt einfach anders und langsamer funktioniert. Das zweite Mal, als mich dieser Geistesblitz traf, war etwa 15 Minuten später auf der Fähre, als ich mir ein Matjesbrötchen holte… Wenn mehr als fünf Gäste auf die gleiche Idee gekommen wären, hätte das die Kapazitäten des „Salon“-Personals erheblich gesprengt. Gut, auch den Gepäcktransport hätte man deutlich optimieren können, weil er derzeit einfach unlogisch abläuft und viel zu viel Personal bindet, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich mir schon vorgenommen, dass ich die nächste Zeit mal das Wort „optimieren“ aus meinem Sprachgebrauch streichen würde…

Landschaft auf der Hallig Hooge

Landschaft auf der Hallig Hooge

Wie verabredet, holte mich Robert am Schiff ab. Robert ist die Hafenmeister-Zwischenlösung, zwischen dem Ex-Hafenmeister und dem Hafenmeister in spe, und mein WG-Mitbewohner. Nach einer kurzen Hallig-Erläuterung ging es dann in unsere Wohnung, wo ich dann erfuhr, dass zu unserer WG derzeit auch noch der zukünftige Hafenmeister mit Frau, zwei Kindern und zwei Hunden, einer davon eine 80 kg schwere und 120 cm hohe Dogge, gehören. Auch gut. Aber irgendwie beschäftigt mich schon, warum meine Hand-gegen-Koje-Betreuerin, mir immer von einer 3-er-Frauen-WG geschrieben hat… Das schien ihr nämlich ganz ganz wichtig. Aber offensichtlich hat sie mich als psychisch so gefestigt eingestuft, dass sie mir dieses stellenweise überfüllte Auffanglager zutraute.

Die Wohnung ist ok. Drei Zimmer / Küche /Bad. Das Beste daran: Wir wohnen im Rathaus. Und da das Rathaus sowohl Gemeindehaus, Fremdenverkehrsamt, Krankenstation und Öffentliche Toilette in einem Haus vereint, muss ich nur die Treppe runter und bin schon an meinem Arbeitsplatz. Mein Zimmer ist allerdings sehr ungewöhnlich eingerichtet: Schmales Bett, kleiner Schrank, alter Fernseher und ein Sessel. Insgesamt hab ich drei Tische drin stehen – würde gerne zwei Beistelltische gegen einen Schreibtischstuhl eintauschen… Mal sehen, was ich übermorgen, wenn Familie Hafenmeister vorübergehend wieder abreist, aus ihrem Zimmer ergattern kann. Ruhiger wird es dann aber sicherlich auch nicht, denn morgen kommt Roberts Freund nebst einer Freundin und deren Hund. Natürlich wohnen sie auch bei uns. Und ab Samstag ist dann wieder der Hafenmeister da, aber diesmal ohne Frau, Kind und Hund und ab Donnerstag hoffentlich Ulrike, der ich jetzt ein Luftbett organisiert habe, damit sie unsere WG für ein verlängertes Wochenende komplettieren kann.

auf der Hanswarft

auf der Hanswarft

Robert ist nämlich bekennender Punkrock aus Potsdam (no hope, no future, no hope ist sein Lebensmotto – sehr sinnig, wenn so jemand auf den Halligen lebt) und ein Plaudertäschchen, wenn er nicht gerade einen gnadenlosen Hangover wie heute Morgen hat. Beim ersten Willkommensbier gestern in unserer Küche hat er mich extrem ins Herz geschlossen, sichtlich froh, dass er meine sonderbare Vorgängerin los war und jemanden zum Zuhören für seine durchaus interessante Lebensgeschichte gefunden hatte. Nach ein paar Schluck Bier wusste ich bereits von seiner Karriere als Hausbesetzer, subversivem Element und Waldorfschüler. Aber er ist ausgesprochen lustig. Vielleicht noch ein bisschen überengagiert, wenn er mir von seiner Lebenserfahrung was mitgeben will – aber da ich noch wenig Erfahrung mit Steinewerfen und Hausbesetzungen habe, bisher auch noch selten eingebuchtet wurde, bin ich ja dankbar, auch in dieser Richtung mal was mitzubekommen. Auf dem Weg in die T-Stube, wo wir am Abend noch ein Bier trinken wollten, sind wir dann auf Julia gestoßen. Sie macht gerade ein freiwilliges ökologisches Jahr bei der Schutzstation. Solche jungen Leute wie sie, gibt es hier jede Menge. Auch meine beiden Kolleginnen von Hand gegen Koje, die am Anleger arbeiten, sind total jung. Da entsteht natürlich eine ganz eigene Szene hier: jung, naturinteressiert, partyinteressiert und auch ein bisschen sehr verplant – liegt wahrscheinlich aber am guten Hallig-Gras. Bis sich die gestern bloß verabredet haben – da wäre man am liebsten dazwischen gegangen und hätte das für sie organisiert…

Im Laufe des Abends stieß dann noch der Ex-Hafenmeister und das zukünftige Hafenmeisterpaar zu uns. Von ersterem, seiner Frau und seiner Entscheidung auf die Hallig Hooge zu gehen, hatte ich schon im Internet gelesen. Er war jetzt drei Jahre hier. Nun ist die Ehe zu Ende  und nun geht er zurück. Sein Nachfolger, meine WG-Familie, ist  sehr optimistisch, was das Leben auf der Hallig anbelangt. Sie waren erst drei Mal ganz kurz hier auf der Hallig Hooge und siedeln nun komplett über. Das ganze Leben haben sie in Westfalen verbracht und jetzt ausgerechnet Hallig Hooge. Die Kinder gehen nun mit vier anderen Kindern in die Schule hier: Alle Klassen in einem Raum mit einem Lehrer. Ohne jemals hier wenigstens eine Woche Urlaub gemacht zu haben, sein Festlandleben aufgeben und hierher ziehen – meines Erachtens ziemlich mutig…

Wellness für Kühe auf Hooge

Wellness für Kühe auf Hooge

Irgendwie hat mich die Stimmung gestern Abend in der Kneipe an meine Erfahrungen mit Inselauswanderern auf Fuerteventura oder der Dominikanischen Republik erinnert. Die „Zugroisten“ rotten sich zusammen, werden nicht wirklich akzeptiert und dann gibts zwei Lager. Scheint hier ganz genauso zu sein. Die wirklichen Hooger schützen sich vor der Überfremdung durch Touristen und Aussteiger.
Heute Morgen nun Sturm und Regen. Die Schifffahrt ist zum Teil eingestellt worden. Ich hab versucht, einen ersten Erkundungsgang von unserer Hanswarft bis zur Kirchwarft zu machen. Aber es war heftig – auch mit Anorak, Regenmantel und Regenhose kaum machbar. Zum ersten Mal hab ich richtig kapiert, was der Ausdruck „der Regen peitscht einem ins Gesicht“ wirklich bedeutet. Aber selbst bei dem schlechten Wetter war erkennbar, wie interessant doch die Natur und der Aufbau der Hallig ist. Ich freu mich auf eine Wetterbesserung, die allerdings erst wirklich für Freitag eintreffen soll. Heute gegen 17.00 Uhr wird wohl der absolute Tiefpunkt des Tiefs erreicht werden.

Raus geh ich heute maximal noch, um was zu essen. Der Wind bläst einem wirklich die Haare vom Kopf – trotz Kapuze. Die Versorgung am Wochenende ist ja nicht einfach. Gut, dass ich ja kein Problem damit habe, zum Frühstück eine Bratheringsemmel zu verspeisen. Hab ich heute auch so gehandhabt… Die bekommt man hier ja immer.
Bin gespannt auf die Arbeit morgen. Kann mir einfach nicht vorstellen, dass hier irgendjemand Unterstützung braucht. Das Leben scheint so gemächlich… Und mir wurde schon von zugezogenen Einheimischen gesagt, als ich erzählt habe, was ich im richtigen Leben mache, dass meine Erfahrung hier dringend benötigt werden würde, aber man mir keine Hoffnung macht, dass man sie auch abruft. Es lebe der Renovierungsstau in Ferienwohnungen… – Der Blick durch die Brille des Gasts fehlt wohl völlig – sonst hätte sich ja auch in meinem Zimmer mal jemand gefragt, was ich mit drei Tischen ohne Stuhl mache… Und ich wüsste ja jetzt schon so vieles, was man verbessern könnte – dabei hab ich das Tourismusbüro noch nicht einmal betreten und nur die Infowand von außen gesehen. Wichtig fände ich z.B., dass man das Wochenprogramm auch tatsächlich von der richtigen Woche aushängt. Vielleicht war ja auch letzte Woche so viel zu tun, dass die Mitarbeiter das nicht auch noch geschafft haben. Gut, dass ich jetzt da bin und sie unterstütze!

Heute Abend geh ich mit Robert noch ins Kino, den prämierten Film „Die Nordsee von Oben“. Jawohl ihr habt richtig gelesen – ins Kino. Für uns hier auch wieder besonders bequem – das Kino ist nämlich im Untergeschoss unseres Hauses. Ihr merkt, wir wohnen centralissimo!
Die Halligen polarisieren – sie werden mich faszinieren, bzw. tun es jetzt schon. Aber sie werden mich nicht fesseln – das weiß ich jetzt auch schon. Allein der Wind und Regen sprechen dagegen… Ich mach mir jetzt erst mal eine Wärmflasche für meine eiskalten Füße.
So, nun schließe ich meine ersten Eindrücke für heute und melde mich wieder, wenn es Hallig-Neuigkeiten von der entschleunigten Sabine gibt.

Pferdekutschen auf der Hallig

Pferdekutschen auf der Hallig

2. Bericht nach 6 Tagen auf der Hallig Hooge

Moin meine Lieben,
komme gerade aus dem Seehund – Weißkohlpudding mit Lammfleisch gabs, eine Halligspezialität. Sehr lecker! Im Seehund war übrigens auch Herr Rach, der Restaurantretter im Einsatz. Allerdings liegen hier die Defizite wohl weniger in der Küche und den Räumlichkeiten begründet, sondern eher darin, dass sich die meisten Touristen in ihren Ferienwohnungen selbst verköstigen und die Gastfrequentation daher eher spärlich ist.
Tja, die Hallig Hooge – wo soll ich anfangen? Jede Stunde eine Offenbarung mehr. In jeglicher Hinsicht. Seit gestern Mittag hat der Regen aufgehört. Am Nachmittag hatten wir zwar noch Windstärke 8, aber Sonne. Einfach wunderschön! Heute war es wieder etwas durchwachsener, aber der Wind legt sich langsam und das ist gut so. Hätten wir nämlich noch einen Tag länger einen solchen Wind gehabt, wäre wohl Land unter gewesen – und das finde ich, muss nicht unbedingt schon an meinen ersten Aufenthaltstagen hier sein. Aber die Gefahr, die um diese Jahreszeit eher selten ist, ist gebannt. Und so hab ich inzwischen die gesamte Hallig erkundet, lediglich im Westen fehlen mir noch zwei Warften, aber da hatte ich bisher einfach zu viel Gegenwind. Das ist hier alles so besonders, dass man es kaum in Worte fassen kann – und auch wenn ich jeden Tag eine Wärmflasche brauche, trotz Friesengeist, bedauere ich keine Sekunde (bisher) diese zwei Wochen investiert zu haben, um das Leben am anderen Ende Deutschlands mitten im Wattenmeer kennen zu lernen.

Jetzt aber erst mal zu meiner Arbeit und das gibt sehr viel über die „Halliglüüd“ preis. Bei der Bewerbung für das Projekt ging es ja vor allem darum, was der Bewerber während seiner beiden Wochen hier einbringen kann und wie auch der Ort davon profitieren kann. Also hab ich brav meine Unterlagen ausgefüllt und bin ja aufgrund meiner Qualifikationen auch ausgewählt worden. Allerdings scheint das die Sachbearbeiterin für sich behalten zu haben… Gestern Morgen nun das Einführungsgespräch mit dem Büroleiter. Da ja so schrecklich viel hier zu tun ist und man kaum mal Luft holen kann, hatte er sich meine Unterlagen noch nicht ansehen können (…) und so hat er mich gefragt, was ich denn so vorzuweisen hätte. Ich habs kurz gemacht (ehrlich) und es hatte trotzdem eine sehr einschlagende Wirkung. Sofort wurde der Bürgermeister alarmiert, der lief etwa fünf Minuten später mit wehendem Anorak im Büro ein und umgehend wurde mit mir eine zweistündige Lagebesprechung durchgeführt. Er war schrecklich empört, dass er nichts davon wusste, dass er eine solche touristische Ausnahmeerscheinung auf seiner Hallig hatte und dass man ganz tolle Projekte hätte anleiern können, wenn irgendjemand davon gewusst hätte… Tja, kann man ja auch nicht verlangen, dass man mal die Unterlagen der „Auserwählten“ liest – sind ja alle zwei Wochen immerhin ganze drei. Jedenfalls hat er dann noch meine Internetseite studiert, alle wichtigen Entscheider angerufen (und das sind bei 107 Einwohner mindestens 50 bis 60) und dann scheint es hier eine ziemliche Aufruhr gegeben zu haben – sollte aber jetzt auch wieder nicht überbewertet werden, denn Aufruhr ist hier immer, sobald überhaupt etwas passiert.

Der Bürgermeister hat jedoch sofort erkannt, was er da für einen Mehrwert abschöpfen kann und zur Krönung meines Aufenthalts halte ich nächsten Donnerstag, zwei Tage vor meiner Abreise, einen Vortrag vor allen Vermietern zum Thema Servicequalität. Der wurde heute sofort anberaumt und an alle Haushalte und Personen, die im Tourismus arbeiten, verteilt – ist eh die gesamte Halligbevölkerung. Gut, dass ich noch einen Vortrag von den Allgäuer Bauernhofvermietern parat habe, den ich überarbeiten kann – Die Verhältnisse ähneln sich doch sehr. Zwei Drittel der Vermieter würden es vorziehen, wenn die Gäste das Geld einfach nur überweisen und gar nicht erst anreisen. Dann würden sie nämlich auch das sehr individuell zusammengestellte Baumarktmobiliar nicht so sehr abnutzen. Es sind wirklich erstaunliche Parallelen zwischen den Allgäuern und den Halliglüüd – auch bei der Anzahl der verwendeten Worte einem Touristen gegenüber. Man hat nun große Pläne mit mir: Supervision des Tourismusbüros, Ist-Analysen bei Vermietern, die sich freiwillig bereit erklären und neue Zielgruppenermittlung. Alles schön und recht – ist mir lieber als Bürgerbriefe zu falten (aber auch kein Problem – ist ja hier in ein paar Minuten passiert). Einen Haken hat die Sache allerdings. Die Hoogener – außer dem Bürgermeister – finden, dass eigentlich gar nicht mehr Touristen kommen sollten. Vor allem nicht außerhalb der vier Monate Saison. Da möchten sie es nämlich ein bisschen ruhiger angehen, weil ja der Sommer so stressig ist… Ein fürchterliches Dilemma – alle leben inzwischen vom Tourismus, aber leiden mögen sie die Touristen nicht so besonders und überhaupt war früher alles besser… Bin ja jetzt mal gespannt.
Dazu kommt leider noch, dass diese 107 Hoogener so zerstritten sind, wie man es sich kaum vorstellen kann. Jeder lauert und jeder neidet. Kein Vermieter gönnt dem anderen die Butter auf dem Brot. Ein Beispiel: Online-Verfügbarkeiten sind auf den Websites nicht aktuell, weil sonst ja der Nachbar wissen könnte, wie man gebucht ist. Unglaublich!

Galerie auf der Hanswarft

Galerie auf der Hanswarft

Das ist in unserer WG völlig anders. Wir teilen Brot, Bier, Wein und Friesengeist ohne jegliche Befindlichkeit. Bin stark am Überlegen, ob ich Robert nicht adoptieren soll, aber vermutlich geben ihn seine Eltern nicht her. Er ist echt die gute Seele unserer Wohnung und vermutlich, wenn er so weiter macht, auch der Hallig Hooge. Inzwischen muss ich ihn in seinen Hausmanntugenden schon einbremsen. Vorhin war er unterwegs und hat Bettzeug für Ulrike organisiert und erst als er farblich zu den Überzügen passende Spannbetttücher aufgetrieben hatte, gab er Ruhe. Vermutlich ist er der einzige, der jetzt schon von meinen Predigten zur gelebten Servicequalität infiziert ist und sehr wahrscheinlich wird er auch der einzige bleiben. Echt erstaunlich, wie gut unsere Wohngemeinschaft mit diesen unterschiedlichen Leuten funktioniert hat. Wir hatten auch mit Hafenmeisters in spe noch richtig Spaß und Robert trägt als ehemaliger Zimmermann auf der Walz und seinen Episoden aus seinem anarchischen Leben auch immer für Unterhaltung bei. Heute war nun Besetzungswechsel bei uns: Hafenmeisters sind mit Kinder und Hunden bis Samstag wieder abgereist, dafür sind Roberts Freunde eingezogen. Vorübergehend war gestern noch im Gespräch, dass ein russischer Filmstudent auch noch bei uns einzieht, aber wir standen nun absolut an der Grenze unserer Aufnahmekapazitäten und haben die Aufnahme verweigert – nicht zuletzt, weil wir ja eh schon mit Luftmatratzenbetten agieren. Als ich gestern angekündigt hatte, dass mich Ulrike ein paar Tage besucht, meinte mein „Chef“, dass sie dafür 10 Euro pro Tag aus Rücksicht auf die Privatvermieter nehmen müssten. Erst als ich argumentierte, dass ich dann aber gerne auch ein Bett für sie hätte und nicht nur ein privat geliehenes Luftbett, war man einsichtig. Da kennen die Halliglüüd nix…

Ich hoffe, es entsteht jetzt kein falscher Eindruck, aber genau deswegen wollte ich ja hier mitarbeiten und mich nicht einfach nur irgendwo einquartieren. Nach diesen 14 Tagen werde ich wissen, wie Halligleben funktioniert. Ich ahne es jetzt schon. Und all diese menschlichen Themen sind so weit weg, wenn man stundenlang läuft und diese faszinierende Landschaft sieht und die Tiere beobachtet. Bin zwar kein großer Vogelfan, aber hier hat man selbst mit den Vögeln interessante Erlebnisse – mich hat heute z.B. ein Vogel fast eine Stunde lang beim Laufen begleitet. Erst als ich mich ein paar Minuten in einen Strandkorb gesetzt hatte, hat er mich wohl verloren.

So, nun muss ich ins Bett. War gestern so spät und dann hatte auch noch mein Handy seinen Geist aufgegeben und ich hab noch ne Stunde versucht, es wieder in Gang zu bekommen. Mir brach förmlich der Angstschweiß aus: WLAN nur ganz ganz schwach, wenn der Wind aus einer bestimmten Richtung kommt, weil der Router nämlich außen angebracht ist und dann noch ein totes Handy! Das kann man in Myanmar oder auf Kuba ertragen – aber NICHT auf der Hallig Hooge…

3. Bericht nach 9 Tagen auf der Hallig Hooge

Moin meine Lieben,
melde mich mal wieder aus dem hohen Norden. War beschäftigt. Ulrike war vier Tage zu Besuch und hat meine „Isolationshaft“ gemildert und gestern waren wir auf Amrum – Ausflug in die weite Welt. So kam es mir wenigstens vor: Geschäfte, Cafés, Restaurants, nette Leute und ganz viel Hübsches in den Orten fürs Auge: nette Gärten, schöne Häuser, liebevoll gestaltete Auslagen. Man fährt nur eine halbe Stunde von der Hallig aus und ist in einer völlig anderen Welt. Auch landschaftlich mit den weiten Stränden und Dünen.

Meine Schreibpause hat auch damit zu tun, dass es nicht mehr so viel zu erzählen gibt. Man kommt ganz schnell in eine gewisse Routine rein, weil ja nichts passiert. Habe jetzt schon den Eindruck, dass ich ewig hier bin: Kenne fast jeden auf der Hallig und seine Geschichte dazu. Die Hallig hat man nun auch schon mehrfach abgelaufen und im Büro passiert ja auch nichts Großartiges. Unsere WG hat sich nun nach Ulrikes Abreise auf die Stamminsassen reduziert: Robert, der alter Hafenmeister; der neue Hafenmeister und ich. Mit Besuch ist in der kommenden Woche auch nicht zu rechnen. Eigentlich schade… Hätte nichts dagegen, wenn Robert noch ein paar Punks hier angeschleppt hätte oder Ulrike zu meiner mentalen Stabilisierung auch noch ein paar Tage länger geblieben wäre.

eine de rWarften auf der Hallig

eine der Warften auf der Hallig

Da mich ein Erlebnis mit einem „Gastgeber“ stark beschäftigt hat, möchte ich es euch beispielhaft erzählen: Der Besitzer eines Restaurants auf Hallig Hooge hatte vor einiger Zeit Unterstützung von den Restaurantrettern aus dem Fernsehen. Der Hallig-Adlige war schon zig Mal in den Medien – sowohl bei dem ZDF-Imagebericht, der in der letzten Zeit mehrfach ausgestrahlt wurde, dann auch weil seine Tochter,  sehr gut aus marketingtechnischer Sicht vermarktet wird. Es gab Fernsehberichte über sie als Täufling, als Schulkind, als Halligtracht-Trägerin etc. – Der Gstronom ist wirklich aus den Medien bekannt – vor allem den Leuten, die sich für die Halligen interessieren. Letzte Woche sitze ich mit etwa zehn weiteren Gästen in seinem Lokal. Wir werden von seinem griechischen Kellner bedient. Der Chef kommt ins Lokal, grüßt keinen einzigen Menschen und schlappt mit missmutigem Gesicht durch seinen Gastraum. Alle wissen, wer das ist und er findet es nicht einmal für nötig seine Gäste zu grüßen, geschweige denn zu fragen, ob es schmeckt – Das soll der sympathische Mann aus dem Fernsehen sein? Am Tag danach bin ich ihm beim Spaziergang mit seinem Hund wieder begegnet. Etwa zwei Meter, bevor wir aufeinander trafen, hat er seine Mütze tiefer ins Gesicht gezogen und den Blick gesenkt, nur damit er nicht grüßen muss. Ich würde die Empfehlung gegeben, dass man vielleicht einfach mal mit einfachen Grußfloskeln beginnen sollte, bevor man Schulungen zur Servicequalität macht, dann braucht man auch keinen Restaurantretter mehr, denn dann kommen die Gäste eventuell von ganz allein – gibt ja eh nur noch ein weiteres Restaurant. Und das ist leider keine Ausnahme. Friesische Schweigsamkeit hin oder her – das ist ein untragbares Verhalten, wenn man ausschließlich mit dem Fremdenverkehr seinen Lebensunterhalt verdient. Und das tun sie hier alle. Landwirtschaft ist nur noch eine winzige Randerwerbsquelle.

Yachthafen auf Hoote

Yachthafen auf Hoote

Na ja, ich bin jedenfalls gespannt, wie mein Vortrag am Donnerstag ankommt. Ich sollte auch noch als „Gastarbeiterin“ auf die Hallig Langeness verliehen werden, aber das ist alles so kompliziert und mit Übernachtung verbunden. Gut, dass er am vorletzten Tag meines Aufenthalts stattfindet – sie werden mich schon nicht gleich von der Insel jagen… aber es werden ja eh nur die kommen, die schon verstanden haben, wie Tourismus funktioniert und das sind ausschließlich die, die nicht hier geboren wurden. Mal sehen, was in den fünf Arbeitstagen noch passiert. Werde mir nicht mehr so viel Gedanken dazu machen, denn schließlich bin ich nur „Hand gegen Koje“.

Kirche auf der Hallig Hooge

Kirche auf der Hallig Hooge

Aber nun zu den schönen Dingen. Nach dem Film über die Nordseeküste und Diavortrag über die Halligen stand am Mittwochabend das nächste kulturelle Highlight im Hooger Nachtleben an: Das plattdeutsche Theaterstück. Selbstverständlich wieder bei uns im Haus, in der Schaltzentrale von Hooge. Die Hälfte der Mitwirkenden kenne ich schon. Man sagte mir auch, ich müsste mir wegen des Verstehens keine Sorgen machen – der Inhalt wäre unmissverständlich und die Handlung auch für einen schwerfälligen Bayern leicht nachvollziehbar. Das stimmte – es war wie der Komödienstadel auf platt. Am Freitag gab es dann ein Gitarrenkonzert, das wirklich super war. Es ist echt was geboten – leider werden die Angebote nicht angenommen. Von den Einheimischen war kein einziger auf dem Gitarrenkonzert – außer diejenige – ebenfalls Gastronomin auf der Hallig Hooge -, die uns wortlos den Spendenkorb unter die Nase gehalten hat.

Mittlerweile habe ich die ganze Hallig Hooge mehrfach umrundet. Ich dachte ja, dass ich das jeden Tag nach Feierabend machen würde, aber ich hatte natürlich nicht mit einem so aufregenden Nachtleben gerechnet. Für mein Studium, das ich ja hier auch erheblich weiter bringen wollte, hab ich noch keinen einzigen Strich gemacht… Aber ich schreibe ja euch.. Jedenfalls kann man auf dem Deich in etwa dreieinhalb Stunden die gesamte Hallig Hooge umrunden, aber man kämpft halt an einigen Ecken erheblich mit Gegenwind und so kann es unter Umständen schon ein wenig länger dauern. Außerdem kenne ich inzwischen jeden Gemeindearbeiter und da hält man dann halt unterwegs auch Schwätzchen, wenn Deiche befestigt werden oder Straßen ausgebessert werden. Und Schwätzchen auf Hooge sieht so aus: Ich mach nette Konversation, frage dieses und jenes zu den Arbeiten und mein Gegenüber sagt „nee“ und „joo“. Dann starrt man gemeinsam noch ein bisschen ins Wasser und macht sich wieder auf den Weg mit einem leichten Anheben der Hand zum Gruß.

Aber irgendwie kann man sich an der Landschaft kaum satt sehen – vor allem seit nun auch die Sonne immer zwischendurch mal wieder scheint. Die Kühe, die hier auf den Weiden sind, sind Urlaubsgäste hier. Sie werden im Herbst mit der Fähre wieder aufs Festland zu ihren Besitzern gebracht und kommen erst im Frühjahr wieder – das ist wie bei uns mit den Almen. Mit Bienenvölker wird genauso verfahren. Eigene Viehhaltung ist hier nicht mehr interessant, weil es zu oft „Land unter“ ab dem Herbst gibt und damit der Platz auf den sichereren Warften knapp wird. Bin übrigens seit vorgestern sehr beruhigt bezüglich „Land unter“ und Sturmflut. In den neueren Häusern wurde eine Art Schutzraum eingebaut. Selbst wenn die Grundmauern des Hauses bei einer Sturmflut weggespült werden, bleibt dieser Raum wie auf Stelzen stehen (so behaupten sie wenigstens…). Selbstverständlich haben wir sowas in unserem Multi-Funktionshaus auch und der liegt auch noch ausgerechnet in unserer Wohnung – in dem Zimmer von Familie Hafenmeister in spe.

Die Familie des neuen Hafenmeisters ist natürlich auch ein Gesprächsthema hier. Endlich wieder eine Familie auf der Hallig mit schulpflichtigen Kindern. Die Schule hat zwar Bestandsschutz, aber wenn keine Kinder mehr da wären, dann wäre das natürlich ein Problem. Da es nur noch zwei Halligkinder gibt, die den Nachwuchs bilden, eines ist drei Wochen und eines ein Jahr, war dies natürlich ein entscheidendes Auswahlkriterium den Hafenmeister mit Familie einzustellen. Die Hoffnung, dass die Familie das hier tatsächlich „aushält“ ist  groß. Die Statistik der Ehescheidungen spricht hier auf der Hallig eindeutig dagegen… – außer beide Parteien sind hier geboren. Für viele vom Hallig-Adel ist es schon eine Unternehmung, wenn sie ihre Warft verlassen und zu uns auf die Hanswarft kommen. Das machen sie nicht so oft – sind immerhin maximal drei Kilometer. Bei Gegenwind kann das schon dauern und eine beschwerliche Unternehmung werden.

Heute habe ich „Spätschicht“ – fange erst um 11.00 Uhr zu arbeiten an… Irgendwie wäre ich gestern gar nicht böse gewesen, wenn ich mit Ulrike gleich nach Hamburg hätte abreisen können. Aber die restlichen Tage werden auch vorbei gehen.

Der Wetterbericht für die nächsten Tage wird nun endlich besser – glaube ich wenigstens. Aufgrund der schlechten Internetverbindung hab ich nämlich heute noch das Wetter von gestern auf meinem iPhone…

Ich grüße euch ganz lieb mit meinem wohl letzten Hallig-Tagebuch. Glaube nicht, dass in den nächsten Tagen noch so viel Berichtenswertes geschieht. Freue mich auf jeden Fall auf die Zivilisation und bin doch sehr sehr froh, dieses Experiment Hallig gemacht zu haben. Ich muss ja manche Dinge auch unbedingt machen, um genau zu wissen, dass ich das nicht noch einmal in meinem Leben brauche…

Idyll auf Hallig Hooge

Idyll auf Hallig Hooge

4. Bericht nach 14 Tagen auf Hallig Hooge

Moin ein letztes Mal,

es ist wie immer – am Ende ist man dann doch ein bisschen wehmütig, wenn es vorbei geht… Sitze nun auf der Fähre zurück ans Festland.

Die letzten Tage haben mich versöhnt. Das Wetter hat mitgespielt und wir hatten noch traumhafte Tage, bis dann gestern wieder der Regen kam. Wenn ich mit meiner Arbeit im Büro fertig war, dann bin ich zum Landsende marschiert und hab mich dort in einen Strandkorb gelegt und erst mal ein Nickerchen gehalten – hatte ich schon erwähnt, dass unser Nachtleben manchmal etwas anstrengend ist? Nicht nur unsere Küchenabende, sondern auch die Kultur. Am Dienstag war zum Beispiel ein Orgelkonzert mit Trompete in der Halligkirche. Abgesehen davon, dass der Pastor das falsche Programm ausgeteilt hatte, was aber nicht weiters störend war, weil ich eh kein Stück kannte, war es sehr schön. Die Halligkirche ist einfach was Besonderes.

Vorgestern war nun mein Vortrag und es kamen tatsächlich 15 Personen – mehr als wir erwartet haben. Gab nette Grundsatzdiskussionen, wie z.B. warum ein Vermieter auf der Hallig Hooge WLAN braucht etc. – aber es ist halt wie immer. Es waren nur die da, die eh schon einen passablen Job machen und wenigstens erahnen, was es bedeutet, für Halligtouristen ein schönes Urlaubserlebnis zu gestalten.

auf der Hanswarft auf Hallig Hooge

auf der Hanswarft auf Hallig Hooge

Heute Morgen eine sehr wehmütige Stimmung. Obwohl wir gestern noch ziemlich lang Abschied gefeiert haben – ich hatte die Jungs mit einem 3-Gänge-Menü bekocht – haben sie sich es nicht nehmen lassen, mich heute Morgen beide zur Fähre zu bringen. Hatte dann was von einem tragisch endenden Heimatfilm: Ich auf der Fähre winkend mit einem Tränchen im Auge und meine beiden Hafenmeister auf der Hallig Hooge auch gerührt winkend. Tja mal sehen, wie diese Leben weitergehen. Wie immer verspricht man sich, in Kontakt zu bleiben. Ob es tatsächlich gelingt, ist fraglich. Das neue Hafenmeisterpaar werde ich sicherlich aus der Ferne unterstützen, wenn sie ihr zweites Standbein als „Ferienwohnungsvermieter“ dann demnächst starten. Darum haben sie mich auch gebeten. Robert werde ich schon deswegen nicht mehr aus den Augen verlieren, weil wir über Xing vernetzt sind.

am Hafen von Hallig Hooge

am Hafen von Hallig Hooge

Es war schon eine interessante Erfahrung dieses Abenteuer „Hand gegen Koje“ auf der Hallig Hooge – sei es zu sehen, wie Leben in Deutschland doch so unterschiedlich zu meinem Leben in Deutschland sein kann. Zu sehen, wie man in einer Natur lebt, die ständig bedroht ist, irgendwann nicht mehr existieren wird und wie es ist, nicht ständig alles vorrätig zu haben, weg zu können, wann man möchte und immer von Gezeiten und spärlichen Fährverbindungen abhängig zu sein und auf Gedeih und Verderb seinen Mitmenschen ausgeliefert ist und ihnen dennoch nichts gönnt. Sei es auch zu sehen, wie die Natur Menschen nicht nur hart und schweigsam macht, sondern offensichtlich auch unglücklich. Sei es auch zu sehen, wie Tourismus tatsächlich in manchen Ecken noch gelebt wird und wie lange so eine Einstellung noch funktionieren kann; sei es auch zu sehen, wie manche Menschen arbeiten und trotzdem Geld dafür bekommen; sei es mal wieder zu erleben, mit Menschen aus so unterschiedlichen Welten zusammenzuleben, wie Robert. Wer hätte gedacht, dass ich eines Tages Ramstein für Schmusemusik halten würde, weil ich zeitweise noch viel schrecklicheren Klängen ausgesetzt war. Wer hätte auch gedacht, dass ich ein dermaßen intensives Wissen über politische Subkulturen erhalten werde, woraus ich übrigens sehr viel gelernt habe. WG-Leben war auch mal wieder schön, aber da freu ich mich auch sehr auf meine eigenen vier Wände zu Hause, die leider nicht lange genießen kann.

So, nun hoffe ich, dass meine Umsteigeverbindungen – insgesamt 4 an der Zahl – alle so klappen und dann bin ich heute um 18.30 Uhr zu Hause – eigentlich eine stolze Leistung für knapp 1000 km mit Schiff, Bus und Bahn. – Wenn ich die Mail jetzt rausbekomme, dann hab ich schon das 3. Umsteigen glücklich und pünktlich hinter mir und wenn ich erst mal in Hamburg bin, sollte nichts mehr schief gehen.

Abendstimmung auf Hallig Hooge

Abendstimmung auf Hallig Hooge

Strand 33 auf der Insel Amrum

STRAND 33 INSEL AMRUM

Was macht das Strand 33 auf der Insel Amrum so besonders? Wenn man ein Strandrestaurant besucht, dann erwartet man im der Regel eine schnelle einfache Küche, aber nicht eine hervorragende Auswahl an südafrikanischen Weinen und eine Speisekarte die mit viel Einfallsreichtum und vernünftigen Preisen überrascht. Kein versnobter Laden, sondern bodenständige Gäste, nettes Personal und eine herrliche Lage direkt am Strand.

Das Strand 33 auf der Insel Amrum – eine Location, die man sich merken sollte

Wenn das Wetter mitspielt, dann kann man am Abend auf der Sonnenterrasse einen unvergesslichen Sonnenuntergang erleben. Und das alles in einem absolut entspannten Ambiente und in einer Top-Lage am Eingang zum Norddorfer Strand.

www.strand33.de

 

Terrasse Strand 33

Terrasse Strand 33